Schüsse am Fluss

  • Es gibt kein Geräusch, wenn der Tod nieder saust. Erst, als seine scharfe Krallen in Form einer Pfeilspitze in Raiders Hand steckt und diese vor Schmerz und Schreck aufheult. Erst dann folgt das Geräusch. Es ist wie bei einem Unwetter, bei dem man erst den tödlichen Blitz sieht und lange danach den unheilvollen Donner hört. Doch da ist es bereits lange zu spät. Es folgt eine ganze Salve an weiteren Pfeilen und erschreckend viele davon fahren in Fleisch und Blut.

    Rammy reagiert sofort. Er packt Raider an der Schulter und stürmt mit ihr die Böschung hinauf. Ihre Gruppe ist hier auf einem lichten Teil neben dem Fluss, doch weiter oben wachsen Bäume, hinter denen sie lebensrettende Deckung fänden. Auf halben Weg ist die Flucht bereits durch dicht gewachsene Beerenbüsche erschwert. Alle anderen Himmelsrichtungen sehen noch todbringender aus.

    Rammy wirft einen Blick nach hinten und sieht Keen mit einem Pfeil im Oberschenkel und einem in der Schulter straucheln. Dove neben ihm wirkt unverletzt. Seinen Bogen hält er im Anschlag und zu seinen Füßen liegt der Pflanzenkorb, den er bei Raiders Schrei fallen ließ. Blätter und Wurzeln, die sie mühevoll darin sammelten, liegen nun überall verstreut. Die Arbeit eines ganzen Tages in wenigen Sekunden dahin.

    Dove hat die Sehne seines Bogens halb zurückgezogen, doch er sieht sich verwirrt um. Ihm fehlt ein Ziel.

    In Deckung, Mann!“, brüllt Rammy. Er zerrt noch immer Raider in Richtung der Bäume, die plötzlich unendlich weit entfernt scheinen. Jeden Moment können sie weitere Pfeile auf die Spitze nehmen. Es dauert nur wenige Atemzüge mit einem Bogen zu feuern. Erstens einen Pfeil auf die Sehne zu bringen, zweitens einen Bogen zu spannen, drittens zu zielen und viertens den gefiederten Tod abzufeuern.

    Eins...

    Raider scheint langsam wieder zu sich zu kommen und stolpert desorientiert den Hang hinauf. Sie hält sich die vor Blut triefende Hand, in der noch immer ein Pfeil steckt. Obwohl Raider mittlerweile selbstständig läuft und Rammy mit seinen Füßen den Boden trampelt, als sei Beliar selbst hinter ihnen her, kommen sie der verfluchten Deckung einfach nicht schnell genug näher. Die Bäume sind in Sicht. Es ist weniger als einen Schlingsteinwurf entfernt.

    Zwei...

    Keen bricht den Pfeil in seinem Oberschenkel knurrend ab und herrscht Dove an. Das scheint dem Welpen Vernunft einzubläuen. Dove wirbelt herum und hetzt hinter Keen her den Hang hinauf nach oben. Sie sind sieben Schritte von Raider und Rammy entfernt. Der unebene Boden steigt für alle steil an und wird von Büschen gesäumt. Ihre Wurzeln ragen wie Stolperfallen aus dem grasgepolsterten Erdreich und ihre Zweige schlingen sich umso hartnäckiger um die Beine, jetzt da um Leben und Tod geht.

    Drei...

    Rammy wird klar, dass sie es nicht schaffen werden. Sie werden die rettenden Bäume niemals rechtzeitig erreichen. Die nächste Salve an Tod ist für sie reserviert. Jeder von ihnen wird eine kalte Pfeilspitze im Herzen stecken haben.

    Vier!

    Rammy wirft sich aus dem Lauf zur Seite. Mit einem harten Schulterstoß trifft er Raider und reisst sie mit sich in die Beerenbüsche. Das Gestrüpp zerkratzt ihnen die ungeschützte Haut an Gesicht und Armen, als sie stürzen. Fast noch im selben Augenblick zischen Pfeile durch die Luft.

    Diesmal schreit Rammy auf. Sein Oberarm fühlt sich plötzlich an, als ziehe jemand brutal eine glühende Eisenpitze daran entlang. Der verdammte Pfeil hat die Rüstung verfehlt und stattdessen ungeschütztes Fleisch zwischen dem ausladenden Schulterschutz und dem ledernen Sehnenschutz am Handgelenk gefunden. Nur eine handbreit höher und er wäre an dem Schulterschutz abgeprallt.

    Vorsichtig hebt Rammy den getroffenen Arm an, um die Schwere seiner Verletzung zu mustern. Zu seiner Überraschung steckt der Pfeil im Boden und nicht in seinem Fleisch. Die Spitze hat ihm die Haut tief aufgeritzt, aus der es munter blutet. Rammy seufzt erleichtert auf. Nur ein Streifschuss. Er betet zu Innos, dass an der Pfeilspitze kein Gift ist.

    Lebst du noch?

    Raider hat den Schuss mitbekommen und stößt Rammy grob mit dem Fuß an. Es ist nicht die besorgte Frage eines Freundes. Es ist die logische Berechnung einer kaltblütigen Person, für die es jetzt gilt, die Chancen für das eigenes Überleben zu berechnen.

    Nur ein Streifschuss.“, erwidert Rammy gedämpft und folgt Raider, als diese auf die Füße springt.

    Im Busch liegen zu bleiben ist der sichere Tod. Die Schützen würden nur zur Sicherheit eine weitere Salve ins Gebüsch feuern. Nur, um sicher zu gehen, alle erwischt zu haben. Raider und Rammy hetzen den Bäumen entgegen, ohne sich nach Keen oder Dove umzusehen. Sie sind alle selbst erfahrene Bogenschützen und wissen, wie lange es dauern wird, einen Pfeil aufzunocken, ihn an die Wange zu bringen, zu zielen und zu feuern.

    Rammy wirft sich hinter den Baum, den er von Anfang anvsierte. Raider umrundet neben ihm den Stamm. Es gibt ein dumpfes Geräusch, als sich Keen auf der anderen Seite mit dem Rücken gegen die Deckung eines Stammes wirft. Keen und Dove haben dieselbe Berechnung angestellt wie Rammy, haben während der Pfeilsalve notgedrungen Schutz im Gebüsch gesucht.

    Als sei der Tod erzürnt über das Entfliehen seiner Beute, folgt ihnen eine weitere Pfeilsalve. Im Stakkato rammen sich die Geschosse in die Erde. Einer davon verfehlt nur um Haaresbreite Doves Knöchel, als dieser außer Atem hinter einen Baum rennt. Ein zweiter Pfeil rammt sich mit einem – tschack! – so dicht bei Rammys Gesicht in die Rinde, dass es ihn dazu veranlasst, schnell den Kopf einzuziehen.

    Sein Blick fällt auf einen Pfeil, der sich zwischen der Deckung von ihm und Keen schräg ins Erdreich gebohrt hat. Er erkennt die Befiederung.


    Er sieht den Pfeil und er sieht ihn stecken. Im Rücken eines Freundes, der getroffen mit dem Gesicht nach unten liegt. Der Pfeil ragt aus dem grünen Oberteil des Buddlers. Kein Atemzug regt mehr den zerfetzten Brustkorb, während das Blut die Stelle um den Einschlag rot verfärbt.


    Banditen.“, keucht Rammy auf.

    In der Tat.“, macht Raider neben ihm so gedehnt, als sei ihr langweilig. „Wer sonst sollte uns beim Sammeln auflauern?“ Keen auf der anderen Seite stöhnt. Er versucht den Pfeil in seiner Schulter zu entfernen. Dieser ist in die Stelle zwischen Schulterschutz und Rückenplatte eingedrungen. Diese Stelle, die dem Gerüsteten eigentlich Beweglichkeit verspricht, wurde Keen zum Verhängnis. Mit der verletzten Schulter könnte er den Arm nicht mehr heben, geschweige denn einen Bogen spannen. Rammy sieht es auf einen Blick. Da Keen gleichzeitig ihr Heiler ist, käme nun eine schwere Zeit auf ihn zu.

    Raider zieht ihr scharfes Messer, beisst die Zähne zusammen und durchtrennt mit einer schnellen Bewegung den Pfeilschaft an ihrer Hand. Das blutige Stück fällt genau neben Rammys Fuß zu Boden. Die blauweißen Federn sind vor Schmutz und Blut verklebt. Raider zieht den sauber getrennten Schaft durch die Handfläche, die nur noch aus fließendem Blut zu bestehen scheint.

    Keen – Verband.“, kommt es gepresst von Raider.

    Keen greift zielsicher in den Heilerbeutel und wirft den herausgefischten Verband aus seiner Deckung zu der von Raider und Rammy. Raider streckt sich an Rammy vorbei, um den Verband auffangen zu können, doch der ist nach einem Blinzeln mit einem scharfen Geräusch verschwunden.

    Sie sehen ihn fünf Meter weiter an einen Baumstamm geheftet. Der Pfeil hat die Verbandrolle an der dicksten Stelle durchschlagen und das mitten im Flug. Für einige Momente sind sie alle sprachlos. Rammy fühlt, wie ihm das Blut in den Ohren rauscht. An seinem Oberarm brennt es. „Scheiße.“, macht Dove anerkennend und ereifert sich: „Wir müssen schnell zurück ins Alte Lager und Meldung machen. Wir müssen...

    Langsam, Junge.“ Keen stöhnt undeutlich auf, als er den Verbandsknoten an der Schulter zuzieht – ein Verbandende zwischen den Zähnen.

    Wie willst du denn dahin? Da ist der Fluss, hinter dem die Banditen lauern. Wenn die uns sehen, kommen uns ihre Pfeile entgegen und umgehen können wir sie auch nicht. Der Weg dort drüben ist noch gefährlicher als der von hier aus.

    Rammy späht zu Keen und gibt ihm Recht. Wenn sie rennen, finden sie alle den sicheren Tod. Raider neben Rammy streckt suchend den Kopf um die Deckung und zieht ihn fluchend zurück, als ein weiterer Pfeilhagel auf die Bewegung antwortet.

    Also mit Munition sparen die bestimmt nicht.“, bemerkt Rammy trocken. Er starrt auf die Pfeile, die er von seinem Versteck aus sehen kann. Ihren eigenen Jägern sind dauernd die Pfeile knapp. Wenn sie nur die Banditenpfeile aufsammeln und mitnehmen könnten... Sie brächten so viel mehr mit nach Hause als nur Pflanzen. Die allein sind schon wertvoll genug.

    Hast du was gesehen, Raid?“ Das ist Keens ruhige Stimme.

    Aye. Sie sind oben in den Büschen. Auf der Klippe. Unten sind keine von ihnen zu sehen.

    Ganz sicher?

    Sicher.

    Raider kann man nicht täuschen. Wenn es gilt einen Feind zu erspähen, scheint die Frau einen zusätzlichen Sinn dafür zu gebrauchen. Keen überdenkt einen Moment in Ruhe die Lage. Darum hat auch er das Kommando über die Gruppe: Weil er erst alle Fakten sortierte und dann ebenso ruhige wie harte Entscheidungen trifft.

    Feuer erwidern.“, ist Keens Befehl. Alle bis auf ihn, der mit der Schulterwunde keinen Boden spannen kann, ziehen einen Pfeil. Sie legen die Munition auf die Sehnen und spannen die Bögen jetzt schon an, um beim Schießen schneller zu sein. Keen vergewissert sich mit Blicken nach rechts und links, dass jeder geladen hat, dann gibt er den Befehl: „Feuer!

    Dove, Rammy und Raider sind bereit. Mit gezückten Bögen drehen sie sich hinter den Bäumen hervor und erwidern das Feuer. Dove wird von Keen zurückgerissen, noch ehe er den Schuss abgeben kann. Keine Sekunde danach bohrt sich ein Pfeil an die Stelle, an der Dove bis eben noch stand.

    Rammy hat das Gebüsch im Visier und sieht bereits einen Pfeil auf sich zukommen. Schon als er die Sehne loslässt, weis er, dass sein Schuss verfehlen würde. In derselben Sekunde dreht er sich zurück hinter den Stamm. Ein mittlerweile bekanntes Brennen am Unterarm sagt ihm, dass ihn ein weiterer Banditenpfeil an seiner Haut ritzte.

    Raider kommt neben ihm zu stehen und legt mit blutverschmierter Hand den nächsten Pfeil auf. „Fünf.“, sagt sie.

    Sieben.“, erwidert Rammy.

    Drei.“, kommt Doves Stimme von weiter rechts.

    Dove! Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass die uns nur mit drei Leuten aufs Reiskorn nehmen?

    Keens ruhige Stimme schaltet sich dazwischen: „Sind wir pokern, oder sind wir uns mit Banditen anlegen? Zählt mal die Pfeile, die bei jeder Salve kommen.

    Fünf.“, sagt Raider zeitgleich mit Rammy, der „Sieben.“ sagt.

    Keen schüttelte den Kopf. „Es sind bei jeder Salve unterschiedlich viele.

    Rammy sieht alarmiert auf Keen, der fortfährt: „Sie haben Leute eingeteilt, die uns bei jeder Bewegung eindecken, um uns beschäftigt zu halten. Aber das ist nur eine Ablenkung. Ihr eigentlicher Trumpf liegt dort gut versteckt im Busch und wartet auf einen todsicheren Abschuss.

    Rammy dämmert, was Keen berichtet. Er hörte von dieser Taktik bereits. Jedes Mal, wenn sie eingesetzt wird, gibt es Tote.

    Sie haben einen Scharfschützen.“, entfährt es Rammy. Sein Blick bleibt an der von einem Banditenpfeil sauber an einen Baum angehefteten Verbandrolle hängen.

    Keen nickt.

    Sie sind geliefert.

    Jungs, Pfeile auf die Sehnen. Ich will, dass ihr zurückschießt, bis eure Bögen glühen. Jetzt decken wir die einmal ordentlich ein. So lange ihr ihnen einheizt halte ich die Augen offen, wo dieser Trumpf liegt. Der Kerl entkommt uns nicht.

    Die anderen nicken den Befehl ab und legen neue Pfeile auf. „Feuert, was das Zeug hält!

    Auf Keens Befehl hin springen sie hinter den Bäumen hervor. Rammy schickt einen Pfeil ins Gebüsch auf der anderen Flußseite und hechtet zurück hinter den Baum. Keinen Moment zu spät, denn schon sausen Pfeile durch die Luft. Rammy legt neu auf, dreht sich hinter dem Stamm hervor und bringt in derselben Bewegung den Bogen herum.

    Da! Eine Bewegung im Busch. Rammy entsendet den Pfeil dorthin, der mit dem Geräusch einer wütenden Blutfliege über den Fluss schießt. Pfeile schlagen um ihn herum ein. Sie sprießen aus dem Boden, wo zuvor keine Pfeile waren, werfen spritzend Erde auf und schlagen ganze Blöcke an Rinde aus den Bäume, in die sie sich rammen. Als Rammy nachlädt, fetzt ein Geschoss dicht neben ihm durchs Blattwerk. Die Stelle sieht danach aus, als habe jemand mit einer Peitsche hindurch geschlagen.

    Es surrt, faucht, pfeift.

    Angestrengt hebt Rammy den geladenen Bogen an, zielt an der mordlustig glitzernden Pfeilspitze vorbei zur anderen Flußseite hinauf. Doch er kann vor lauter Büschen Nichts sehen. Er hasst es, blind zu sein. Aufs Geratewohl feuert Rammy ins Gebüsch auf der anderen Flußseite. Ihm bleibt keine Zeit die Flugbahn zu verfolgen, als ihm weitere Pfeile entgegen sausen. Rasch springt er in Deckung. Erde spritzt auf, als die Pfeile hageln.

    Was gesehen?“, will Dove von der anderen Seite wissen. Seine Stimme klingt wie zum zerreißen gespannte Nerven.

    Ich habe genug gesehen.“, kommt es von Keen, der sich wie alle anderen auch wieder in die Deckung zurückzog. Der Verband an seinem Oberschenkel färbt sich bereits rot.

    Die kontrollieren die gesamte Böschung. Sobald wir auch nur den kleinen Finger herausstrecken, sind wir tot.

    Es muss doch eine Möglichkeit geben.“, kommt es verzweifelt von Dove. Der Welpe droht die Nerven zu verlieren.

    Rammy presst seinen Rücken fest gegen den Baum, mustert kühl und wachsam die andere Flussseite.

    Der Fluss ist trüb und dunkel. In unregelmäßigen Abständen treibt Schmutz die Strömung herunter. Größtenteils Äste, die der letzte Sturm ausriss. Aber auch so manches unförmige Gebilde, das wohl Moos und Gestrüpp ist. Es hat sich zwischen irgendwelchen mitgerissenen Sträuchern verfangen. Sie sind von der Nässe dunkel und manche sehen dadurch aus wie Säcke, die vorbei treiben. Einmal schwimmt ein Gebilde vorbei, das Rammy an den Anblick einer Leiche erinnert, die nur noch mit dem Rücken nach oben im Wasser treibt. Ein daraus hervor ragender Ast vervollkommt den Anblick und erinnert an einen aufragenden Pfeil.

    Die andere Seite des Flusses ist eine steile, nicht erklimmbare Klippe. Das Gebüsch da oben ist dicht gewachsen, dass sich, wer auch immer dort steht, nicht einmal Mühe zu geben braucht, verborgen zu sein. Selbst wenn man gesehen werden will, müsste man sich fast bis auf die Zehenspitzen recken und ganz nah an der Kante der Klippe stehen. Und selbst dann wäre man bis über die Hüfte unsichtbar. Selbst ein Idiot kann sich dort verstecken. Auch dann, wenn er es gar nicht will.

    Rammy neigt sich leicht nach vorne in der Hoffnung zumindest einen der Banditen zu erspähen.

    Strinnggg!

    Nachdem der Pfeil nur nadelscharf an Rammys Gesicht vorbei zischte, keucht er gegen den zu eng gewordenen Kragen an. Zu eng geworden, weil Raider ihn auf der anderen Seite hält. Hätte Raider ihn nicht zurückgezogen – der Pfeil hätte ihm in der Nase gebohrt!

    Hat gute Augen dieser Scharfschütze, nicht wahr?“ Raider grinst und läßt Rammy los. Raider ist mit einem Grinsen auf die Welt gekommen und einer respektlosen Art gegenüber allem, was andere Menschen ernst nehmen. Beispielsweise von einem Scharfschützenpfeil aufgespießt zu werden.

    Mensch, du machst Sachen.“, meldet sich Dove von der anderen Seite, „Die hätten dich fast umgebracht.

    Neue Erkenntnisse, Ram?“, fragt Keen beherrscht.

    Rammy sah Nichts, was sie irgendwie weiter bringt. „Der Fluss ist ziemlich trübe. Da kann man ebenso wenig hinein sehen wie in das Versteck, das die Bande da oben zwischen den Büschen gefunden hat.

    Ich habe gesehen, wo der Pfeil herkam.“, meldet Keen, „Seht ihr den Felsen auf der anderen Flußseite? Der so daliegt wie ein erschossenes Molerat? Zwei Meter zur Seite und dann in senkrechter Linie nach oben. Dort liegt unser Mann und wartet drauf, dass er uns kalt machen kann.

    Gute Arbeit, Rammy. Hättest du dich nicht gezeigt, hätte ich ihn nicht entdeckt.

    Rammy nickt und lockert sich mit dem Finger erneut den Kragen, der sich bei Raiders Griff zuzog. Er hasst es sein Leben als Einsatz beim Spiel mit Beliar setzen zu müssen.

    Der Fluss.“, murmelt Raiders, ehe ihr Kopf zu den anderen herum schnellt.

    Hej! Habt ihr noch Eure Beutel und Körbe?

    Dove fragt zurück: „Die uns der Magier gegeben hat, damit wir die Pflanzen für ihn sammeln?“ Raiders bestätigt. Rammy tastet sich an den Gurt. Da ist der Korb, den er erhielt. Aber was will Raider jetzt damit? So lange sie nicht ins Lager zurückkehren können, können sie die Ausbeute nicht abliefern. Und sie können nicht ins Lager zurück, so lange auf der anderen Flußseite dieser verdammte Scharfschütze nach ihrem Leben trachtet.

    Ich habe meinen verloren.“, meldet sich Dove kleinlaut. Rammy erinnert sich. Er lag bei Doves Füßen als die Schießerei los ging.

    Erneut Raiders Stimme: „Keen, gib Dove einen der Säcke. Wir gehen über den Fluss raus.

    Bist du verrückt?“, heult Dove auf, „Die zersieben uns bereits, wenn wir die Nasenspitze hinter dem Baum hervor strecken. Und du willst, dass wir hilflos im Fluss paddeln?

    Rammy reibt sich verlegen den Nasenrücken. Auf der Wange hat sich seit dem Beinahe-Treffer ein Brennen eingestellt. Als er seine Fingerkuppen begutachtet, sind sie rot verschmiert.

    Sie werden uns im Fluss nicht sehen.“, gibt Raider zurück und wischte ihre blutige Hand an der Uniformjacke ab. Die rote Farbe des Schmierflecks fällt dort nicht einmal auf. „Erinnert ihr euch an den Sturm vor ein paar Tagen? Der hat alles mögliche heruntergerissen, das jetzt stromabwärts treibt. Und ihr wisst, was stromabwärts liegt. Unsere Körbe werden zwischen dem ganzen anderen Dreck nicht einmal auffallen.

    Doves dünne Stimme meldet sich erneut: „Du willst die Körbe mit den Pflanzen den Fluss hinunter treiben lassen? Hoffst du, dass unsere Leute sie finden und einen Suchtrupp los schicken?

    Nein, du Idiot. Wir drehen die Körbe um und setzen sie uns auf den Kopf. Dann gehen wir über den Fluss raus.

    Keen schaltet sich dazwischen, ehe zwischen Dove und Raider ein lautstarker Streit ausbricht: „Raiders, das ist nicht lustig. Im Augenblick ist ein schlechter Zeitpunkt für irgendwelche Scherze.“ Raider mit ihrem angeborenen Grinsen, das zu den unpassendsten Zeitpunkten aufflammt, hat im Augenblick ihren Ruf weg.

    Ich meine es ernst, Keen. Das Wasser ist durch den Sturm so trüb, darin könnte man heute sogar den Erzhaufen des Neuen Lagers verstecken. Wir können das für uns nutzen. Im Wasser sehen sie uns nicht. Was sie nicht sehen, auf das können sie auch nicht schießen. Ganz im Gegensatz zu dem hier!

    Sie streckt den Arm in einer winkenden Bewegung neben dem Stamm aus und zieht ihn sofort zurück. Als Antwort zischen die Banditenpfeile der anderen Flußseite haarscharf an ihrer Deckung vorbei. Einen Moment länger und Raider wäre einen Arm kürzer. Rammy könnte schwören, dass einer der Scharfschützenpfeile einen Blutstropfen aufspießte, der im Moment des Winkens von Raiders Hand troff.

    Kein Mensch kann so lange die Luft anhalten, bis wir außer der Reichweite ihrer Bögen sind.“, fährt Raiders ungerührt dessen fort, dass sie gerade mit dem Tod eine Runde Katz und Maus spielte. „Darum die Körbe. Wir behalten die Köpfe über Wasser. Die Körbe sind unsere Deckung. Darunter haben wir genügend Luft.

    Rammy hebt unvermittelt den Kopf, als ihm die Tragweite dessen bewußt wird, was Raider eben sagte. „Das ist es...“, stammelte er benommen.

    Der Fluss ist wirklich so trübe, dass man nicht bis zu seinem Grund blicken kann. Es treibt genügend Zeug vorbei, dass selbst Rammy etwas davon mit Säcken verwechselte. Dabei irrt er sich gewöhnlich nie. Der Fluss führt direkt zum Alten Lager. Sie werden sich einfach von der Strömung bis vor ihre eigene Haustür treiben lassen. Die Banditen würden sie niemals unter ein paar dunklen Weidenkörben vermuten, sondern es für Treibgut halten. Raiders Plan ist genial.

    Und wie willst du zum Fluss hinunter?“ Es ist Keen. Die kühle Logik, die er Raiders verwegenen Plan entgegen setzt, hat schon so manchem das Leben gerettet.

    Raider hat auch darauf eine Antwort parat: „Sechzehn Schritt flussaufwärts liegt ein umgestürzter Stamm schräg zum Fluss. In seiner Deckung gelangen wir bis ans Wasser. Wir schaffen es bis dahin, wenn wir die Bäume als Deckung nutzen.

    Doves angespannte Stimme meldet sich von der anderen Seite: „Aber... wenn unsere Bögen nass werden.

    Rammy schweigt einen Augenblick. Dove mag der nervöse Welpe der Gruppe sein, doch sein Einwand ist nicht von der Hand zu weisen. Sie sind alle erfahrene Bogenschützen, doch ein Bogen, der ins Wasser gefallen ist, ist nutzlos. Sind ihre Bögen nass, verlieren sie ihre effektivste Waffe im Kampf ums Überleben. Ein Mensch, der sich nicht mehr wehren kann, ist in der Strafkolonie arm dran.

    Rammy sieht zu Keen hinüber.

    Er ist der Gruppenführer. Er entscheidet, welchen Weg sie einschlagen. Muss es sein, dann entscheidet er auch auf welche Weise sie sterben. Mutig oder feige. Klug oder dumm. In Raiders tollkühnen Plan, oder indem sie sich hier von den Banditen festnageln lassen...

    Wir gehen über den Fluss raus.

    Rammy atmet die Luft ein. Doch es ist kein Atmen der Erleichterung. Im Gegenteil spannt sich sein Körper an, wie sonst nur sein Bogen. Der schwierige Teil liegt noch vor ihnen. Sie müssen durch den tödlichen Pfeilhagel bis an den Stamm und von dort zum Fluss gelangen.

    Von Deckung zu Deckung, Leute.“, sagt Raider und nockt mit unglaublicher Schnelligkeit einen Pfeil auf. „Dove, Keen. Rammy, los.“ Kaum hat sie zu Ende gesprochen hechtet sie hinter dem Baum hervor. Wie zu erwarten kommen sofort die Pfeile herangeflogen. Im selben Moment wie Raiders das Feuer auf sich zieht, als wolle sie Beliar selbst spotten, packt Dove den verletzten Keen und gibt ihm einen kräftigen Stoß, der ihn zwischen der Deckung von ihm und Rammy hindurch befördert.

    Ein paar Pfeile zischen an Keen vorbei. Rammy kann genau sehen, wie einer davon an der Rückenplatte abprallt und als Querschläger durch die Baumkrone fetzt. Er breitet die Arme aus und einen Moment später fängt er Keen auf, den er zu sich in die Deckung presst.

    Rammy keucht und blickt von einer Seite zur anderen. Dove hält den Daumen senkrecht nach oben. Er ist okay. Keen in seinen Armen lebt, aber der Verband am Oberschenkel ist mehr rot als weiß. Rammy spürt das warme Blut, das Keens Schulterblatt verklebt, an seinem Brustschild. Direkt neben dem Oberarm mit dem brennenden Streifschuss. Rammy sieht zu Raider hinüber. Diese steht hinter einem Stamm, der breit genug ist zwei Leuten Deckung zu geben. Sie hebt beide Hände – eine weiß, eine rot – und macht damit eine knappe, winkende Bewegung. Gleichzeitig nickt sie Rammy aufmunternd zu.

    Rammy atmet ein und katapultiert Keen hoch. Dove springt geistesgegenwärtig hinter dem Baum hervor und erwidert das Feuer. Mut kann man dem Welpen nicht absprechen, wie er hoch aufgerichtet zwischen den Deckungen steht und mit einem Pfeilschuss erwidert, was ihm dutzendfach entgegen zischt. Dove ist als Bogenschütze so lang und dürr, dass ihn niemand trifft, selbst, wenn er es ernsthaft versucht.

    Rammy sieht Keen hinterher, der Raider entgegen stolpert und von dieser in Deckung gerissen wird. Schon wird ein Blatt von einem Ast des Baumes heruntergerissen, hinter dem die beiden sich verstecken. Rammy sieht, dass der Pfeil, der das Blatt heruntergerissen hat, es mittig an einem weiter entfernt stehenden Stamm aufgespießt hat. Sein Respekt vor dem Scharfschützen wächst. Dieser Schütze kann einem auf diese Entfernung die Augen aus den Höhlen schießen, wenn sie nur dumm genug wären still zu stehen.

    Dove keuchte neben Rammy am Stamm. Sie müssen nur noch diese Deckung überwinden, dann können sie bereits den Stamm erreichen, der schräg zum Fluss liegt. In der Deckung verbindet Keen Raiders Hand, damit sie aufhört zu bluten und ihr nicht mehr ständig die rutschige Sehne zwischen den verschmierten Fingern hervor schießt. Rammy wartet ab, bis sie fertig sind, dann holt er tief Luft und gibt Raider ein Zeichen. Im selben Moment springt er auf die Beine und stürmt los. Raider zieht das Feuer auf sich, indem sie in schneller Folge zwei Pfeile von der Sehne schickt, die die Schützen auf der anderen Flußseite beschäftigt halten sollen. Rammy gibt das die Zeit die er braucht, um die Deckung zu wechseln.

    Als er in Sicherheit ist, versteckt sich auch Raider wieder, um nachzuladen. Dann streckt sich Raider aus der Deckung und beantwortet einen Pfeilhagel, der ihnen ans Leder will. Rammy springt hinter Keens Stamm hervor und unterstützt sie dabei. Er feuert rapide, bis seine Kuppen vom Abrieb der Sehne schmerzen.

    Dove setzt an die Deckung zu wechseln, doch gerade, als er zu Keen hinter den Stamm hechten will, verfängt sich sein Fuß in einem Wurzelstrang. „Diese verfluchten Beerenbüsche!“, kann er gerade noch fluchen, als er auch schon flach auf dem Erdboden aufschlägt. Dann geschieht es: Das Zischen eines Pfeils. Der Schlag, als das Projektil das Gebüsch peitscht, in dem noch Doves Bein steckt. Doves Aufschrei.

    Keen packt Dove am Oberkörper und zieht ihn zu sich in die Deckung. Rammy und Raider feuern noch jeweils einen Pfeil ab, als es auch für sie zu brenzlig wird. Rasch ducken sie sich.

    Dove strampelt, um rechtzeitig seine Beine auch in die Deckung zu bringen. Rammy sieht wie sich kaltes Entsetzen auf Doves Gesicht abzeichnet und auch den Grund dafür:

    Er sieht den Pfeil, dessen Schaft auf der einen Seite seiner gescheckten Hose herausragt und die Seite mit der Spitze auf der anderen Seite. Im ersten Moment wundert er sich über die Verfärbung der Pfeilspitze, ehe er realisiert, um was es sich handelt: Blut. Doves Blut.

    Dove schreit vor Schmerz, bis Keen dem Welpen eine Hand über den Mund legt. „Sch... schh!“, zischt er ruhig.

    Der rechteckige Lederfetzen an Doves Hose, der weiß sein sollte, verfärbt sich nach dem Treffer erschreckend schnell genauo rot wie der Rest seiner Kleidung. Keen kramt aus seiner Heilertasche ein Beißholz, das er Dove zwischen die Zähne presst. Rammy hört den erstickten Aufschrei, als Keen den Pfeil in Doves Wade abbricht und mit den ruhigen Bewegungen eines geübten Heilers durchschiebt. Danach zieht Keen Dove die durchlöcherte Hose ein Stück hoch. Keen macht einen straffen Verband, damit die Wunde nicht aufbrechen kann.

    Sie sind nun alle vier in Deckung, doch es liegt noch ein Stück vor ihnen, bis sie den gestürzten Stamm erreichen. Raider ist die erste in der Reihe. Neben Rammy in der Deckung kauert sie auf allen Vieren wie ein Sprinter, der den Startschuss abwartet. Nur dass dieser Startschuss Raider bei einer falschen Bewegung das Leben kosten kann.

    Raider schnellt hoch, wirft sich im Sprung herum und schlittert auf dem Hosenboden das ungedeckte Stück bis hinter den gestürzten Stamm. Wie es Raider schafft ihren Körper bei der Rutschpartie so weit zu kontrollieren, dass sie aus der Bewegung heraus einen Pfeil in Richtung Banditen schicken kann, bleibt Rammy ein Rätsel. Hinter dem Stamm muss Raider nach einem abstehenden Ast greifen, um den Schwung zu bremsen. Ihr Weg hinterlässt eine breite Spur im Gras, die binnen eines Wimpernschlags von Pfeilen geziert wird. Raider blickt auffordernd zu Rammy. Der weis, dass er nicht zögern darf, wenn er nicht will, dass sie alle hier sterben.

    Er holt so viel Schwung, wie er nur kann und stürzt sich dann dem Tod entgegen. Im Sprung reisst er die Füße vor und spürt bereits, wie ihm Pfeile verlangend an der Rüstung zupfen. Als er mit dem Hintern schmerzhaft über das ungeschützte Stück Gras rutscht, wirft er einen Blick zur anderen Flußseite hinüber, in der Hoffnung endlich einen Banditen zu erspähen. Doch er sieht nichts als die Pfeile, die ihm entgegen kommen. Dann nimmt ihm der gestürzte Stamm die Sicht. Sein Schlittern kommt zu einem abrupten Halt, als ihn Raider auffängt. „Wo willst du denn hin? Bis hier hin ist weit genug.“, sagt Raiders mit einem ihrer üblichen, respektlosen Grinsen.

    Dann sehen sie sich nach Keen und Dove um. Keen schickt Dove auf die Reise. Rammy schnappt nach Luft. Mit der tiefen Verletzung an der Wade macht der Welpe nicht den Eindruck, als ob er es schaffen könne. Rammy sieht, wie Pfeile um Doves dürren Körper herum fetzen. Ein Pfeil rammt sich dicht neben ihm in den Boden und wird von Doves schlitternden Körper abgebrochen.

    Er kommt knapp hinter dem Stamm zum Stillstand. Viel zu knapp. Rasch zieht er den Kopf ein. Keinen Moment zu früh, denn genau dort bohrt sich ein Pfeil zitternd ins Holz. „Verdammter Scharfschütze.“, murmelt Rammy.

    Spar dir deinen Atem.“, mahnt Raider, „Du wirst ihn beim Schwimmen noch brauchen.“ Keen holt Schwung, setzt sich auf den Hosenboden und rutscht in ihre Richtung. Doch mit der verletzten Schulter und dem roten Verband am Oberschenkel kommt er nicht weit genug. Viel zu früh stockt sein Schlittern und kommt ein gutes Stück entfernt von der Deckung zum Stillstand.

    Dove wirft sich ohne nachzudenken nach vorn und packt Keen, um ihm den Gefallen zurückzuzahlen, den Keen Dove zuvor erwies. Dove zerrt in dem verzweifelten Versuch Keen zu ihnen hinter den Stamm zu bekommen. Die Luft scheint plötzlich aus Pfeilen zu bestehen statt aus Sauerstoff. Man muss höllisch aufpassen, nicht versehentlich einen davon in die Lunge zu bekommen. Rammy packt Dove am Knöchel und Raider wirft sich neben ihm hin, um dasselbe zu tun. Mit gemeinsamen Kräften ziehen sie erst Dove, dann Keen in die Deckung.

    Schlechter Tag, um in der Sonne zu baden, Keen.“, meint Raider und bleibt auf Keens anderer Seite liegen, um ihn dort zu decken. Dove liegt keuchend im Gras. Jeder seiner Atemzüge ist ein geplagtes Wimmern. Rammy starrt entsetzt auf Keens Oberkörper, den ein Pfeil ziert.

    Keen registriert seinen Blick und lächelt ihn beruhigend an. Dann geift der nach dem Pfeil und löst ihn, um die unverfärbte Spitze allen zu zeigen: Den Pfeil hat die Rüstung abgefangen. Rammy atmet durch und lehnt im Sitzen den Hinterkopf gegen das Holz. Sie sind zwar hinter dem Stamm, doch noch immer nicht in Sicherheit. Einen Moment später fetzt ein Pfeil einen Pilz vom Stamm – keinen fingerbreit neben Rammys abgelegten Kopf. Rammy fährt heftig fluchend zusammen. Reflexartig wirft er sich auf den Erdboden. Von da an bleibt er lieber liegen als sich an der Deckung auszuruhen. Wäre die Wölbung seines Kopfes nicht mit der des Baumpilzes verwechselt worden, wäre das sein letzter Fehler gewesen.

    Keen, du gehst als Erstes.“, sagt Raider, „Dann kommen Dove und Rammy.“ Rammy plagt der Spalt am Oberarm und der Riss in seinem Gesicht brennt mindestens genauso sehr wie die Kratzwunden, die ihnen die Beerenbüsche zugefügt haben.

    Beliar noch eins. Es ist kein Wunder, dass Raider so viele Dienstjahre hat. Ob sie einen Pakt mit Dämonen geschlossen hat, dass sie so lange überleben kann?

    Keen ordert: „Macht eure Deckung bereit, Jungs. Wir gehen alle nacheinander über den Fluss raus und sehen uns alle beim Alten Lager wieder. Ich will keinen sehen, der es nicht wagt, aufzukreuzen, verstanden?

    Sie kippen die Körbe aus und Keen leiht Dove einen Sack. Alles, wofür sie seit dem Morgengrauen durch dichtes Gestrüpp gekrochen sind und mühsam und qualvoll der Natur abrangen, müssen sie jetzt aufgeben. Sie würden mit leeren Händen im Alten Lager wieder auftauchen – falls sie es zurück schaffen.

    Keen geht als erstes. Dicht am Boden kriecht er hinter dem Stamm entlang, dessen gestürzte Krone bis ins Wasser reicht. Rammy hört ihn im kalten Wasser leise die Luft einziehen, als es ihm erst um den verletzten Oberschenkel, dann über die angeschlagene Schulter spült. Er setzt sich den Korb über den Kopf und stößt sich ab.

    Als der Korb davon treibt, sieht es so normal aus wie jedes Stück Treibgut, das der Fluss hier vorbei schwemmt. Rammy hält die Luft an. Gleich muss doch der todbringende Pfeilhagel nieder gehen. Doch Nichts geschieht. Keens Korb treibt außer Sicht.

    Dove folgt. Er hat es am schwersten. Der nasse Sack würde sich ihm auf Mund und Nase legen und ihn ersticken, wenn er nicht Acht gibt. Was seine Rettung sein soll, kann gleichzeitig auch sein Tod bedeuten. Dove kriecht zum Ufer und läßt sich ins Wasser gleiten. Einen Moment später ist kein Dove mehr zu sehen, sondern nur noch ein unförmiges Gebilde, das sich mit einem vorbeitreibenden Ast verbindet und vollkommen unscheinbar außer Sicht treibt.

    Raider stößt Rammy mit dem Ellenbogen an, um ihn seiner Pflichten zu erinnern. Rammy folgt und kriecht hinter der schmalen Deckung dem Wasser entgegen. Der Schweiß ist eine kalte Masse, die ihm die Angst dick auf den Rücken schmiert. ‚Es muss doch schief gehen.’, denkt Rammy. ‚Die sehen uns und erschießen uns auf freier Fläche wie die Hasen.

    Das Wasser ist kalt, als sitze in seinen Tiefen noch der Sturm der letzten Tage. Rammy läßt sich so weit es geht hineinsinken, dann stülpt er sich den umgedrehten Korb über den Kopf. Sofort wird es dunkler um ihn herum. Er kann jetzt Nichts mehr sehen. Er würde nicht wissen, ob ihn die Banditen gleich ins Visier nehmen. Wenn er stirbt, dann stirbt er blind und wehrlos.

    Mit den Füßen stößt er sich vom schlammigen Grund ab und ergibt sich der Strömung, die ihn mitträgt. Was bleibt ihm auch anderes übrig? Ab da bewegt er in einem steten, langsamen Rhythmus die Beine vor und zurück. Die Bewegung verhindert, dass er untergeht und sorgt dafür, dass er genug Auftrieb hat, um sich vom Wasser tragen zu lassen.

    Der Korb über seinem Kopf schirmt nicht nur gegen Licht ab, sondern auch gegen Geräusche. Ist Raiders hinter ihm ins Wasser gestiegen? Ist das Klacken voraus ein Pfeil, der in Keens Korb zerschlägt, oder nur das Geräusch eines treibenden Astes, der gegen einen Stein stößt?

    Er kämpft die aufsteigende Unsicherheit nieder und beginnt sich auf das Ziel zu konzentrieren. Mit den Augen dicht am Korbgeflecht, kann er undeutlich die Umgebung wahr nehmen. Im Augenblick treibt er durch hellen Sonnenschein, den sein Korb weitestgehend aussperrt. Vor dem Alten Lager verläuft eine Brücke. Sobald er also ganz in Schatten getaucht war, weis er, dass er die Brücke erreicht hat. Dann müsste er nur noch ans Ufer paddeln und kann im Schutz der Brücke mit den anderen das Lager erreichen.

    Rammy wird schummrig. Kann es sein, dass die Luft unter dem Korb einfach nicht für die Strecke ausreicht? Doch das ist unmöglich. Zwischen den Weidenzweigen sind genug Lücken, um hindurch spähen zu können. Rammy spürt sogar einen kühlen Luftzug auf den Wangen.

    Dennoch verlässt ihn für einen Moment das Farbsehen. Die Welt vor seinen Augen droht schwarz zu werden. Verzweifelt schnappt er nach Luft. Ein Geräusch so laut, dass es eigentlich ein Wunder ist, dass die Banditen nichts hören. Doch es tut seinen Zweck. Rammys Farbwahrnehmung kommt zurück.

    Was ist nur los?’, fragt er sich verbissen. Er spürt, dass seine Finger taub werden und dass dieser Effekt nichts mit dem kalten Wasser des Flusses zu tun hat. Auch die Beine, mit denen er Wasser tritt, werden immer schwerer, als füllen sie sich langsam mit Blei statt mit Blut. Seine Bewegungen werden träger. Endlich registriert er das Pochen am Oberarm.

    Gift!

    Die Penner haben den Pfeil mit Gift bestrichen.’ Erneut verlässt ihn die Sehkraft und diesmal ist es so schlimm, dass seine Hand vom Rand des Korbes rutscht. Die Deckung kommt ins Trudeln und stößt unkontrolliert gegen seinen Kopf. Er selbst sackt ab, als ihm die Beine den Dienst versagen. Als er den Mund aufreisst, um Luft zu holen, schluckt er eine Menge Wasser mit.

    Hustend greift er nach dem Korb und kämpft darum bei Bewusstsein zu bleiben. Die müden Stöße, die er gerade noch so mit seinen Beinen produzieren kann, reichen kaum noch aus, ihn über Wasser zu halten.

    Auf diese Weise würde er es nicht lebend bis zur Brücke schaffen. Er würde ertrinken oder von Banditen erschossen. So einfach ist das. So oder so würde er untergehen wie ein nasser Sack und irgendwo flussabwärts angespült werden. Man würde nur noch seine Leiche finden und ihn angemessen betrauern – oder auch nicht.

    Nein.’ Rammy entscheidet in dem Augenblick, dass er so nicht untergehen will. Er muss jetzt an Land, oder er stirbt todsicher.

    Rammy sammelt alle Kräfte, die er noch in seinem vergifteten Körper hat. Rammy versucht mit kräftigen Stößen seiner halb tauben Beine irgendwie das Ufer zu erreichen. Er kämpft um sein Leben.

    Da prallt etwas gegen ihn. Anders herum: Rammy prallt mit dem Unterkörper unsanft gegen etwas, das er erst nach einem zweiten Aufprall als das rettende Ufer erkennt. Er schleudert den Korb weg und kriecht keuchend den sandigen Uferstreifen hoch. Als seine Gliedmaßen schlapp machen, stürzt er und wälzt sich mit letzter Kraft auf den Rücken, um wenigstens noch atmen zu können.

    Rammy ringt nach Atem. Mit einem Mal scheint es nicht mehr genug Luft auf der Welt zu geben, um ihn mit Sauerstoff zu versorgen. Die Welt um ihn herum beginnt sich zu drehen und der Boden unter ihm zu kippen. Er blinzelt gegen die sich trübende Sicht an. Mehr hört er, als dass er sieht, wie ein Paar Stiefel neben ihm zum Stehen kommt. Ein paar fellumschlungene Stiefel.

    Blaues Fell.

    Rammy blickt keuchend nach oben und direkt in das vermummte Gesicht eines Banditen. Die kalten Augen sind direkt auf ihn gerichtet. Die und die Spitze eines Rapiers, das an Härte und Kälte den Augen seines Besitzers in Nichts nachsteht. Unter dem blauen Schal – so viel kann Rammy an den gemeinen Augen ablesen – breitet sich beim Anblick des wehrlosen Schatten ein hämisches Grinsen aus.

    Jetzt kann dir keiner mehr helfen.“, kommt die Stimme schneidend scharf unter dem Schal hervor, „Nur noch der Herr Innos und der ist meist verhindert, wenn man seine Hilfe braucht.

    Beliars Reich, du tiefer Höllenschlund.’, denkt Rammy, der zu keiner Bewegung mehr fähig ist, ‚Jetzt komme ich dir entgegen.

    Dann kommt der Aufprall und mit ihm der Schmerz, der ihn zu zerreißen droht. Über ihm prallt Raiders Gestalt von dem Banditen ab. Rammys Kopf wird bei dem Ansturm von einem Fuß erwischt. Das Rapier blitzt im Licht hell auf, als es durch die Luft segelt und mit dem Griff nach oben im Sand stecken bleibt. Raider und der Bandit liefern sich einen wütenden Schlagabtausch, bei dem sie über den Sand rollen wie zwei tollwütige Hunde.

    Sand spritzt auf und mitten über Rammys Gesicht, als dieser seine Chance erkennt. Mit erlahmenden Kräften wirft er sich herum.


    Plötzlich sieht Rammy das Bild seiner Buddlerzeit wieder vor sich. Sie werden regelrecht zur Moleratsau gemacht, bis sie den Unterschied zwischen erforderlichen Drill und reiner Schikane nicht mehr erkennen.

    Kriech, wenn du nicht mehr gehen kannst.“, schreit ihm einer der Ausbilder in der Arena ins Gesicht und hilft im selben Augenblick mit der Übungswaffe nach.


    Jemand schreit. Mit dem wortlosen Schrei zerreisst ein Pfeil die Luft, der weit über die Kämpfer in Rammys Nähe hinweg fegt. Dann schreit jemand seinen Namen. Etwas packt Rammy bei den Schultern und reisst ihn hoch. Er erkennt Keens Gesicht undeutlich über sich Schweben, ehe Erde und Himmel wieder kippen.

    Alarm!“, gellt Doves Stimme und ein weiterer seiner Pfeile zerreist die Luft. Er hat ein mächtiges Organ, das muss man ihm lassen. Das Alte Lager kann nicht mehr weit sein. „Alarm!!“ Man würde den Kampflärm und Doves Alarmrufe bis dorthin hören. Aber können sie es bis dorthin schaffen? Rammy, der von Keen unbarmherzig mitgezerrt wird, kann bereits die Pallisade aufragen sehen. In deren Richtung geht ihre überstürzte Flucht. Noch dreißig Meter dorthin. Schon zischt ein Pfeil an ihnen vorbei. Rammys Körper ist durch das Gift viel zu kraftlos, um auch nur mit einem Zucken darauf zu reagieren. Ein Fluch mischt sich unter den Lärm. „Sie haben Schürfer dabei. Rückzug... Rückzug!“ Noch einundzwanzig Meter zum rettenden Lager. Um sie herum bricht das blanke Chaos aus. Ein Vorgeschmack auf Beliars Reich. Die Luft ist voller Geschrei, Klirren von Waffen, dem Zischen von Pfeilen.

    Hals über Kopf stürzen sie dem Lager entgegen. Zwölf Meter kopflose Flucht, als es bei Rammy anklopft wie mit einem Knochenfinger. Das Projektil kommt von hinten und tritt vorne wieder aus. Rammy kann sehen, wie es mit einem Wimpernschlag aus seinem Körper sprießt. Dann kommt der Schmerz. Er schreit und fällt. Er schreit und stürtzt vornüber in die Dunkelheit, die sich plötzlich vor ihm auftut.

  • Mir war danach etwas im Stil eines Groschenromans zu schreiben. Heißt in diesem Fall: Viele Kämpfe, keine Handlung, unklare Erzählperson, kurze Sätze, kaum Fremdworte und unnötig übertriebene Beschreibungen – wenn überhaupt. Man findet sogar ganze Sätze ohne ein einziges Verb weit und breit. Viel Spaß bei unterirdischen Niveau! Wenn ich jetzt nach einem Erybrocky fragen dürfte...