Swifts Cambriolage

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    Swift starrte in die Schnapsflasche in seiner Hand. Durch die klare Flüßigkeit und das Glas hindurch konnte er auf seine graue Wollhose darunter sehen. Eine Nietenmanchette umspannte sein Handgelenk genauso fest wie seine Hand den Flaschenhals. Mit den lumpenumwickelten Füßen scharrte er unruhig auf dem trockenen Boden zwischen sich und der Feuerstelle, während er wartend auf der Bank saß.

    Eine Mücke, die vom See herüber geschwirrt war, stach ihm in den Nacken und er revanchierte sich, indem er sie mit der flachen Hand auf seiner Haut erschlug. Wenn man so nahe beim See im Neuen Lager saß, kamen Begegnungen dieser Art derart häufig vor, dass man keinen Gedanken daran verschwendete.

    Swift setzte die Flasche an und stürzte sich den brennenden Inhalt in die Kehle. Er war ein großer Mann mit einem großen Durst. Dennoch hinterliess der Alkohol kaum einen Bierbauch an ihm. Die Zeit in der Kolonie und das karge Essen hatten seinen Körper schlank und sehnig werden lassen. Wie altes Leder.

    Manche scherzten er sei so dürr, dass er zweimal zur Tür hinein kommen müsse, ehe man ihn einmal bemerke. Vielleicht wurde er deswegen so häufig mitgenommen, wenn es darum ging, sich irgendwo unbemerkt zu bewegen.

    So auch diesmal.

    Nicht umsonst verzichtete Swift auf Schuhe mit harten Sohlen und blieb bei seinen ärmlichen Fußwickeln. Er setzte die Flasche ab und fuhr sich mit der Hand über den Mund. Sein Blick ging einmal mehr voll ungeduldiger Erwartung zur Seekneipe hinüber, die einsam und scheinbar verlassen auf der Insel im See ruhte. Als Bewegung in den Eingang kam, richtete er sich im Sitzen auf und war angespannt wie eine Armbrustsehne. Doch es war nur eine Dreiergruppe Banditen, die langsam trottend zum Waffenladen weiter zog.

    Swift wandte den Blick ab und sank wieder zurück. Im Sitzen fing er an mit dem Bein zu zittern. Es wurde Zeit, dass Pascal zurückkam. Der war drinnen und dabei mit einem seiner Kontakte zu sprechen. Sobald er heraus kam, hätte er vielleicht einen Auftrag – einen Auftrag der bereits bitter benötigtes Erz einbrachte.

    Doch Pascal lies auf sich warten.

    Es fiel Swift nicht leicht einfach herum zu sitzen und so zu tun, als lümmele er entspannt auf der Bank, während er in Wirklichkeit die Kneipe überwachte – falls etwas schief ging. Endlich trat ein ranker Mann aus dem Eingang. Er trug dunkle Lederbekleidung und eine blitzende Axt am Gurt. Das braune Haupthaar war, ebenso wie der Bart, der sein rundes Gesicht umrahmte, gepflegt. Zielstrebig verliess der Mann die Kneipeninsel und überquerte die mittlere Brücke auf dem Weg zum Lagerfeuer, an dem Swift saß.

    Dieser erwartete ihn nervös. Als Pascal auf Hörweite heran war, hielt er es nicht mehr aus und drückte sich etwas schneller als nötig hoch. „Und?

    Der Andere pausierte einen Moment, als er so unvermittelt angesprochen wurde, noch ehe er Gelegenheit hatte sich zu setzen. Doch dann trat er heran. „Wir haben ein Ziel.


    Es ist ein Schatten. Erkennbar ist er an den dunkelblonden Haare und einer Narbe, die die linke Augenbraue teilt. Normal groß, untersetzt und ein Langeweile-Trinker, wie man ihn mir beschrieben hat. Also wahrscheinlich rote Nasenspitze und geplatzte Äderchen auf Wangen und Nase. Unser Auftraggeber muss ziemlich wütend auf ihn sein. Wir sollen einen Bogen zurückholen, den er vor Jahren an den Schatten... ‚verliehen’ hat... Da ist alles, was wir zu diesem Thema wissen müssen.

    Sie standen zu dritt unterhalb des Reisfeldes im Kreis und tauschten Informationen aus. Die Dämmerung war bereits herauf gekrochen und färbte den Himmel in einem eigentümlichen rosa, über das die Barriere ihr blaues Leuchten warf und die ersten, hervorblitzenden Sterne trübte.

    Als unser Auftraggeber ihn das letzte Mal sah, hatte er noch eine leichte Kluft. Ist aber schon was her. Inzwischen muss der Schatten ein paar Mal befördert worden sein, also hat sich seine Kleidung zwischenzeitlich geändert. Ach...“, Pascal unterbrach seine Ausführung mit einem ärgerlichen Geräusch, „Ich muss euch nicht beschreiben, wie so eine dämliche Schattenkluft aussieht.

    Pascal sah Zustimmung heischend zwischen Swift und Esterel, dem dritten Mann in ihrer Gruppe, hin und her. Letzterer überlegte geräuschvoll, ehe er wie zu einer Antwort auf Pascal meinte: „Hmh... Rot!“ Pascal sah Esterel an und rollte deutlich sichtbar die Augäpfel. Esterel war etwas langsam im Kopf. So langsam, dass man meinen konnte das sei das Verbrechen, für das er eingesperrt worden war. Dafür hatte er andere Qualitäten: Er war massig genug, um einen Türrahmen in Höhe und Breite zu verstopfen, indem er einfach darin stehen blieb. Dazu war er stark wie ein Eber. Vielleicht war das auch der Grund, warum viele auf seinen eigentlichen Namen verzichteten und ihn einfach wie ein Tier riefen.

    Er selbst kam nur selten dahinter, wenn man ihn aufzog, was den Spaß daran ausmachte. Sollte man sich doch einmal nicht zweideutig genug ausgedrückt haben und musste daher vor Esterels fliegenden Fäusten fliehen, zeigte sich eine weitere Eigenschaft des Ebers: Er war nicht sonderlich ausdauernd und würde die Verfolgung bald abbrechen, sich nach einigen Tagen nicht einmal mehr an den Vorfall erinnern.

    Begegnete man ihm wider Erwarten innerhalb seiner Gedächtnisspanne doch einmal wieder, so war Esterel jemand, der sich jederzeit durch einen Schnaps umstimmen ließ. Seine vorhersehbaren Charakterschwächen machten ihn zum idealen Deppen, wenn man einen brauchte.

    Swift benötigte keine Beschreibung der Schattenkluft. Er kannte sie noch gut genug aus seiner Zeit im Alten Lager.

    Wo wohnt er?“, fragte Swift knapp zurück.

    Außenring. Direkt vor dem Torweg.“, meinte Pascal und untermalte seinen betont beiläufigen Tonfall durch ein gut platziertes Achselzucken. „Also kein Problem.

    Swift versteifte sich und legte die Arme zu einem festen Knoten zusammen. Nicht, weil Pascal ihnen gerade ins Gesicht log. Pascal hatte die Angewohnheit wichtige Informationen herunterzuspielen oder gravierende Haken ganz zu verschweigen. Swift hasste diese Art an ihm. Wäre er nicht so sehr auf das Erz angewiesen, würde er solche Aufträge lieber vermeiden. Der Schatten wohnte nicht irgendwo: Er wohnte quasi mit dem Arsch im Burgtor.

    Es war ein Problem.

    Wie kommen wir dort hinein?“, fragte Swift so reserviert zurück, wie seine mittlerweile verschränkten Arme zum Ausdruck brachten.

    Dafür...“, erwiderte Pascal mit einem geschmeidigen Lächeln und richtete seinen Blick auf Swift. „...haben wir doch dich.

    Swift lief es eiskalt die Kehle hinunter und in die Magengrube. Zu allem Überfluß wandte sich Esterel ihm zu und wiederholte seine eigene Frage: „Wie kommen wir dort rein?“ Esterel starrte nach Pascal Swift an, als wüsste dieser die Lösung, wo Swift in Wirklichkeit nur Probleme sah.

    Wie kam Pascal nur auf so einen Stuß?

    Der musste die Frage in Swifts Gesicht gelesen haben, denn mit einem Lächeln, das irgendwo zwischen Hämme und Selbstbewußtsein rangierte, hob er die Handflächen: „Jemand, der so lange im Alten Lager gelebt hat wie du, der wird doch bestimmt eine Lösung parat haben?“ In Pascals dunklen Augen blitzte es, als er von oben herab hinzufügte: „Was hast du dort noch mal gemacht?

    Brandvermeidung...“, knirschte Swift eine ebenso ehrlich erlogene wie erhabene Bezeichnung zwischen zusammengepressten Lippen hervor.

    Hä?“, war das Geräusch, das Esterel machte.

    Swift fühlte sich bedrängt genug, um zu einer Erklärung seiner früheren Arbeiten anzusetzen: „Die Feuerstellen in den Hütten überprüfen, dass da Nichts lose kommt. Regelmäßig entaschen und den Hüttenbewohnern erklären, dass sie keine Fellteppiche dorthin legen sollen, wo die Funken hinfliegen können. Außerdem den Kohlestaub aus dem Abzug entfernen, damit der sich nicht entzündet. Eben alles, damit in diesem vertrockneten, zugebauten, hölzernen Hüttenring kein Feuer ausbricht. Das wäre die reinste Katastrophe!ׅ

    Pascal lächelte überlegen, als er in Richtung Esterel ein „Kaminkehrer“ sprach.

    Ach so.“, machte Esterel, nur um kurz darauf hinzuzufügen: „Legen wir ein Feuer?“ Er sprach es in einem Tonfall aus, als habe er eben eine geniale Idee vorgebracht, doch Swift konnte ihn nur entgeistert anstarren und das nicht nur, weil er jahrelang hart darum gekämpft hatte eben das zu vermeiden, was Esterel da eben so leichtsinnig vorschlug. Es war Pascal, der die Situation entschärfte, indem er Esterel beiläufig erklärte: „Brennen wir die Hütte ab, verbrennt auch das, was wir holen wollen.

    Ach so.“, machte Esterel. Die Erklärung leuchtete sogar dem Eber ein.

    Pascal wandte sich wieder Swift zu, Ungeduld in den unergründlichen Augen: „Du kennst die Anordnungen der Hütten und wie es an der Stelle im Lager aussieht. Überleg' mal... Auf welche Arten kommt man an die Hütte ran?

    Rein?“, fragte Swift noch immer durch die Idee der Brandstiftung abgelenkt zurück.

    Ne, nur ran.“, frage Pascal betont, um Swift dann intensiv zu mustern.

    Swift kniff die Augen und rieb sich den Nasenrücken, während er seine Erinnerung herauf beschwor. In der ganzen Zeit, in der er für wenig Erz und in der Hoffnung auf noch weniger Tracht Prügel über Hüttendächer gerobbt war, um an die Kaminschächte zu kommen, hatte er das Lager von oben und unten, von der Straße aus und von den Dächern aus, die Hütten von innen und außen gesehen. Er besaß daher eine phänomenale Vorstellung davon, wie das Alte Lager in seinen Einzelheiten aufgebaut war. In dem Punkt war sein Gedächtnis etwas, das mit einer Karte klar konkurrieren konnte.

    An die Hütte kommst du von zwei Seiten...“, murmelte er, während er sich die Lage und bauweise in Erinnerung rief. „Den Vordereingang, der schräg zur Burg zeigt. Die Rückwand begrenzt einen großen Platz, der meistens leer ist.

    Pascal warf ein: „Wir gehen durch den Vordereingang rein.

    Swift schüttelte unwirsch den Kopf und schlug die Augen auf. „Das kannst du vergessen.“, sagte er, „Um so eine Hüttentür zu entriegeln braucht es Zeit. Das weist du als Schlößer-Knacker besser wie ich. In der Zeit sieht einer von der Wachmannschaft was wir vor haben und schlägt Alarm. Wäre die Tür nicht verschlossen und du könntest schnell rein, dann hättest du vielleicht eine Chance.

    Was ist mit den Hütten in der Nähe?“, fragte Pascal weiter.

    Swift sah ihn skeptisch an, gab aber Auskunft: „Sind alle in einer Reihe gebaut. Wie ein Wurm. Aber von einer Hütte kannst du nicht in die andere wechseln. Du hörst die anderen Kerle schnarchen, aber zwischen den Hütten ist keine Durchreiche, kein Loch, keine Tür und kein Fenster.

    Hat die Rückseite ein Fenster?

    Swift grübelte lange über die Frage, ehe er etwas lahm meinte: „Auf dem Platz sind Eingänge zu anderen Hütten... Aber nein... Keine Fenster an der Rückseite.“ Er schüttelte abschließend den Kopf, als er sich ganz sicher war. Er konnte sich weder an Fenster noch an Fensterläden erinnern. Die Rückseiten waren ebenso einfache wie sperrige Holzkonstruktionen, die man zusammen genagelt hatte, damit sie den Wind und fremde Blicke abhielten.

    Kaminkehrer?“, warf Esterel ein, der mit seinen Gedankengängen wohl noch ein gutes Stück hinter her hinkte.

    Ja, ich war auf dem Dach, um den Kaminschacht zu reinigen.“, meinte Swift abgelenkt in Esterels Richtung und konnte dabei seinen Ärger über die weitere Ablenkung nicht ganz verbergen, wo er doch eigentlich angestrengt darüber nachdachte, wie man in die Hütte kam. Doch plötzlich stockte er und blinzelte überrascht.

    Öffnungen in Hütten... Kaminschacht... Eingang... Nur durch Esterels Einwurf ergab sich in Swifts Oberstübchen gerade eine Verknüpfung, die zuvor nicht existiert hatte.

    Pascal musste es gleich gesehen haben, doch anstatt etwas zu sagen, beobachtete er Swift lauernd. In dessen Kopf formte sich gerade ein Gedanke, der nach einigem hin und her die Gestalt einer Idee annahm. Nachdem Swift die Sache noch einmal durchdacht hatte, meldete er sich zu Wort:

    Also gut... Ich habe eine Idee, wie es funktionieren könnte. Wir müssen den richtigen Zeitpunkt abwarten, damit wir nicht erwischt werden. Eber? Brich mir mal einen Ast von da hinten, damit ich euch einen Lageplan in den Boden kratzen kann. Pascal, ich entriegle euch die Hütte von innen. Dann kommst du rein und machst deine Arbeit.“ Mit fahrigen Bewegungen nahm er Esterel den frisch gebrochenen Ast aus der Hand, den dieser in der Zwischenzeit herbei geholt hatte. Esterel sah ihn mit seinem gewohnten Blick an, der so aussah, als verstehe er nur wenig bis gar nichts von dem, was um ihn herum vorging. „Aber du bist doch bei uns draußen... Wie willst du da von innen die Türe aufmachen? Dazu musst du doch in der Hütte sein...

    Swift hörte ihm nur mit einem halben Ohr zu, denn er kratzte bereits eilig mit dem Stock am Boden herum: „Das machen wir folgendermaßen...


    Mit gut gefüllten Säcken beladen, schleppten sie sich durch die Nacht. Genau genommen trugen nur Eber und Swift einen Sack. Pascal stolzierte siegesgewiss hinterher. Swift hatte eine Idee für das Problem, wie sie in die Hütte kamen, doch Pascal hatte den ganzen Rest darum herum aufgebaut. Einer dieser Punkte sah vor, dass sie sich mit schweren Gepäck bei den Torwachen sehen liessen. Sie würden mit ihren Säcken hinein gehen und mit ihren Säcken wieder hinaus gehen. Nur, dass sich der Inhalt geändert hatte, würde keinem auffallen – so die Hoffnung.

    Ich hoffe bloß, das funktioniert...“, schnaufte Swift, der mit seiner dürren Statur an seiner Last schwer zu tragen hatte. Er hielt kurz inne, um sich den Sack, aus dem ein paar geschickt drapierte Reispflanzen gut sichtbar hervor ragten, auf seiner Schulter zurecht zu rücken und stapfte dann weiter. „Esterel, nicht essen!“, schnautzte Pascal einen Moment später. Swift warf einen Blick zu Esterel und sah gerade noch den Rest einer rohen Reispflanze zwischen dessen malmenden Kiefern verschwinden. Swift klappte der Mund auf. Gewöhnlich droschen die Reisfeldarbeiter die Körner aus den Pflanzen, die verkocht wurden. Der Rest war nur noch zu Kompost gut.

    Aber das hing so heraus...“, empörte sich Esterel wie immer eine Spur zu laut.

    Pascal eilte mit einem ungeduldigen Schnalzen der Zunge zu ihm hinüber und zerrte die nächste Reispflanze aus dem Sack gut sichtbar hin. Diesmal strich er Esterel das Grün über die Schulter nach hinten, damit dieser sich nicht wieder versucht fühlte das störende Gewächs mit dem Mund einzufangen. Danach stopfte er Esterel, der ja keine Hand dafür frei hatte, das Stück Stoff, das um dessen Hals lag und lose gekommen war, zurück unter den ausgefransten Ausschnitt.

    Alle drei hatten sich für ihr Vorhaben Masken besorgt. Swift trug seine momentan wie einen Schal um seinen Hals und schnaufte unter dem Gewicht auf seiner Schulter. Esterel versteckte seine unter dem Hemd und Pascals dunkle Maske fiel an seiner dunklen Lederkleidung nicht auf. Die Steine in den Säcken klapperten aneinander und klangen entfernt nach Erzbrocken. Esterel trug sein Gewicht deutlich weniger angestrengt, obwohl er zusätzlich ein dickes Bündel Äste unter den Arm geklemmt bei sich hatte, das sie noch im Wald geschnitten hatten. Sein Blick verfolgte ein Glühwürmchen, das vorbei schwirrte und sich an einem Stein nahe dem Fluß niedersetze.

    Esterel änderte den Kurs und trottete dorthin.

    Eber, hier her.“, pfiff ihn Pascal scharf zurück, nur um provokativ hinterher zu setzen „Oder möchtest du doch keinen Schnaps?

    Esterel blieb stehen und wandte sich um. Nach einer geräuschvollen Pause meinte er: „Mhm... doch.

    Swift und Pascal stapften auf die Brücke zu, von der der Stein und jetzige Ruheplatz des Glühwürmchens gar nicht so weit entfernt lag. Pascal winkte Esterel mit: „Den gibt es nur, wenn du jetzt mitkommst.“ Esterel stieß wieder zu ihnen und zu dritt überquerten sie die Brücke. „Was machen wir?“, fragte Esterel. Er musste schon schwere Langeweile verspüren, wenn er sich bereits Unterhaltung mit Worten suchte.

    Das, was wir besprochen haben.“, erwiderte Pascal und fuhr schmeichlerisch fort: „Das ist gar nicht anstrengend. Du musst nicht einmal großartig reden. Weist du was? Am besten bist du ab jetzt einfach still. Wir sagen dir dann, was du wann machen musst.

    Esterel gab ein undeutliches Brummen von sich.

    Swift setzte schnell nach: „Versprochen. Du bist der Erste, der etwas machen darf. Wir sagen dir Bescheid, was es zu tun gibt. Gleich am Tor kannst du dem Gardisten doch deine Äste zeigen.

    Esterels Brummen klang diesmal zustimmend. Das Tor lag bereits in Sicht, der Weg dorthin mit Fackeln erhellt. Sie näherten sich in ihrem langsamen Trott. Obwohl Swift sich bei den schattenumwölkten Gesichtern der Gardisten nicht sicher sein konnte, meinte er zu spüren, wie diese die drei Draufgänger schon auf die Entfernung kritisch musterten.

    'Ruhig bleiben...', ermahnte sich Swift, der gegen einige schlechte Erinnerungen aus dem Alten Lager ankämpfte. Am liebsten hätte er einfach seinen Sack hingeworfen und wäre in die Gegenrichtung davon gerannt. 'Wenn die uns auf die Schliche kommen...' Er senkte den Kopf und starrte nur noch auf den aufgeworfenen Boden vor seinen Füßen, um seinen Gesichtsausdruck nicht sehen zu lassen. Man sah deutlich die Furchen der Radspuren, die unzählige Karren bei ungezählten Konvois hier bei Schnee und Regen hinterlassen hatten.

    Eine der Torwachen ließ ein ironisches Halblächeln sehen, als sein Blick auf die absichtlich gut sichtbar hindrapierten Reispflanzen fiel, die wie zufällig aus den Säcken ragten. Wahrscheinlich wurde Reis im Lager im Augenblick nicht angekauft und die Wachen amüsierten sich jetzt schon köstlich über den Reinfall, den die drei scheinbaren Reisverkäufer erleiden würden.

    Am Tor tat Esterel, wie von Swift vorgeschlagen und er tat es so, wie ein Eber es tun würde:

    Mit seiner Last stapfte er direkt vor die Nase eines Gardisten. Sofort zuckten die Blicke der beiden Torwachen misstrauisch zu Esterel hinüber. Der schob einen Arm vor und präsentierte wortlos das geschnittene Holz, das er unter dem massigen Arm trug. Ein Stück Tuch war darum herum gewickelt, damit man es leichter tragen konnte – und damit es nicht so schnell auffiel, wenn sich ein Bogen dazu verirrte. Der Gardist vor Esterel sah es sich nicht einmal genauer an, sondern winkte ihn ungeduldig durch. „Rein oder raus. Ist mir egal. Hauptsache, du stehst mir hier nicht vor der Nase herum!

    Pascal pfiff einmal warnend, während er intensiv zu Eber hinüber sah und mit dem Kinn in Richtung Lager nickte. Endlich löste sich Esterel von der Wache und schloß sich den beiden wieder an, die sich durch Ebers auffälliges Verhalten kaum Aufmerksamkeit der Gardisten eingefangen hatten. Einen Tag später würden sie sich wahrscheinlich nicht einmal mehr an ihre Gesichter erinnern können.

    Nach dem Tor wandten sie sich zur Seite und nahmen den langen Weg auf sich, um die tarnenden Säcke an einer günstigen Stelle zu verstecken. Ihr Vorhaben mussten sie ohne störendes Gewicht ausführen.


    Sie passierten die Schreinerei und betraten den Schießplatz. Der Gardist dort reagierte nicht, als sie vorbei gingen. Er war es gewohnt Buddler einfach zu übersehen und sie sahen aus wie Buddler. Nur als Esterel durch sein Gesichtsfeld ging, zuckte es kurz um die schmalen Augen des Gardisten, denn Esterel war zu groß, um über ihn hinweg sehen zu können.

    Sie stellten sich an die Rückseite der Hütten und lungerten dort im Schatten herum. Sie sprachen nur wenig, während sie nichts zu tun hatten. Es war bereits alles gesagt.

    Swift stand in der Mitte von ihnen. Er war so angespannt, dass er einen halben Schritt entfernt von der Hüttenwand steif da stand und die Arme in einem festen Knoten verschränkt hielt. Pascal war geübter in solchen Dingen. Lässig lehnte er an der Wand, musterte seine Fingernägel, hielt sich die Hand vor den Mund und gähnte lautlos. Esterel langweilte sich. Mit den Fingern kratzte er am Boden herum, bis er einen Stein gelöst hatte, mit dem er weiter kratzen konnte.

    Ohne Vorwarnung stand der Gardist bequem. Einen Moment später zuckte er herum und stolzierte mit pendelnden Armen den Weg zum Haupttor hinunter. Pascal wartete gerade so lange, bis er um die Ecke verschwunden war.

    Jetzt.

    Swift fuhr herum und streckte die Arme nach der Dachkante aus. Esterel und Pascal packten ihn an je einem Knöchel und schleuderten ihn hoch. Auf der Seite, wo Esterel ihn warf, hatte er etwas mehr Schwung, da der Tölpel seine Kräfte einfach nicht dosieren konnte.

    Swift schoss über die Dachkante hinaus, die er eigentlich hatte fassen wollen und plumpste schräg aufs Dach. „Leise.“, zischte Pascal unnötigerweise von unten.

    Dass Esterel der Idiot einfach nicht aufpassen konnte! Swift rieb sich den vom Aufprall schmerzenden Arm und schluckte eine ebenso bissige wie lautstarke Bemerkung hinunter. Einen Moment später robbte er sich mit grimmigen Gesichtsausdruck über das Dach. Diesmal ging es lautlos von statten. Er kannte die Bauweise dieser Hütten und wusste, wo die tragenden Balken darunter verliefen. So lange er sein Gewicht über diese bewegte, gab es keine verräterischen Geräusche.

    Er arbeitete sich bis an eine Stelle vor, die sich vom Rest des Daches unterschied. Ein dunkles Viereck auf der vom Mond matt beschienen Fläche. Es handelte sich um den Rauchabzug des Kamins. Dieser gerahmte Deckel im Dach hatte an einer Seite ein einfaches Scharnier. Wollte man heizen, konnte man sie einfach aufklappen, damit der giftge Rauch abzog. Ein Stab, der an der Unterseite der Klappe, gegenüberliegend des Scharniers befestigt war, verhinderte, dass die Klappe im Luftzug wieder zuschlug. Wollte man nicht heizen, verhinderte die Klappe, dass kalte Luft durch den Kaminschacht herein zog und in den Übergangsphasen der warmen und kalten Jahreszeiten die Hütte auskühlte.

    Das Alte Lager hatte Buddler im Einsatz, die über die schmutzigen Dächer krochen, die Klappen öffneten, schlossen, warteten, reparierten und die Kamine reinigen mussten. Das Übliche eben. Swift blieb vor der Klappe liegen.

    Sie war geschlossen.

    An der Oberseite gab es keinen Griff und keine Klinke, um sie zu öffnen. Doch das hielt Swift nicht auf. Er zog sein Messer, dessen Ruß geschwärzte Klinge nicht verräterisch funkeln konnte und fuhr mit der Klinge den Rahmen entlang. Schnell hatte er eine Stelle gefunden, wo das Holz durch die fortwährenden Temperaturunterschiede leicht verzogen war. An dieser Stelle glitt die Klinge so widerstandslos hindurch wie zwischen zwei Rippen. Swift drehte das Messer herum und drückte so die Klappe weit genug auf, um seine Finger darunter zu pressen. Als er beide Hände brauchte, um sie aufzustemmen, nahm er das Messer kurzzeitig zwischen die Lippen. Mit beiden Händen drückte er die Klappe ein Stück hoch und tastete dann im Inneren nach dem Stab, mit dem er die Konstruktion fixierte. Wie zu erwarten kam ihm von unten kein Rauch entgegen. Es war Sommer und ein Feuer im Kamin so unnötig wie Krätze.

    Nachdem die Falle gesichert war, nahm er sein geschwärztes Messer aus dem Mund und schob es zurück in die Lumpenwickel. Mit der Hand wischte er sich über die Lippen, um den ätzenden Geschmack loszuwerden, ehe er die Beine unter die Klappe schwang. Er zog sich eine Maske über Mund und Nase, denn die Erfahrung sagte ihm, dass er sie brauchen würde. Mit den Füßen voraus ließ er sich in den schwarzen Schlund gleiten, darauf bedacht den Sicherungsstab nicht versehentlich weg zu schlagen.

    Der Geruch im Kamin war Atem beraubend – auf die schlimme Art und Weise. Es roch nach Verbranntem, nach Asche, kalten Rauch, Kohle und irgendwelchen Abfällen, die im Kamin verbrannt worden waren. Irgendetwas zwischen faulen Äpfeln und Naturdünger. Trotz der Maske biss die unangenehme Duftmischung Swift in die Nase. Swift presste Arme und Beine an die Ränder des Kaminschachtes. Schon als kleiner Junge war er auf diese Weise Öffnungen problemlos hinauf und hinunter geklettert, so lange sie nur schmal genug waren. Heute, im Erwachsenenalter, behinderte ihn dabei sein Körpergewicht.

    Die Zeit im Kerker hatte ihn zusätzlich ausgezehrt, so dass er schon jetzt spürte, wie seine Arme und Beine zitterten. Ein letztes Mal atmete er unter der Maske ruhig ein, ehe er etwas von dem Druck nahm, mit dem er sich gegen die Schachtwände presste. Sofort schlitterte er von der Schwerkraft gezogen nach unten. Swift dosierte seine Kräfte und machte einen kontrollierten Abstieg daraus. Seine Haut brannte, als er sie sich an den schmutzigen Steinen aufschürfte, doch er achtete des Erzes willen nicht darauf. Ruß und Asche, die sich an den Kaminwänden abgelagert hatten, lösten sich unter seinem Rutschen und füllten bald die Luft um ihn herum aus. Sie hätten auch seine Nase und Lunge gefüllt, hätte er nicht die Maske gehabt.

    Mit einem gedämpften Geräusch landete er in der kalten Asche des Kamins. Ein verkohlter Ast brach knackend, als er ihn mit dem Fuß traf. Um ihn herum wirbelte die Asche. Swift blieb kauern, wie er gelandet war und hielt weiter die Luft an, bis sich der aufgewirbelte Schmutz so weit gelegt hatte, dass er es wagen konnte Luft zu holen, ohne sich gleich an einer Ladung Asche zu verschlucken.

    Währenddessen lauschte er auf Geräusche im Raum, doch es blieb ruhig. In gekauerter Haltung stieg er aus dem Kamin und sah sich um. Es dauerte seine Zeit, bis sich seine Augen an das schummrige Licht im inneren der Hütte gewöhnt hatten. In dieser Zeit bestand seine Wahrnehmung nur aus hören. Und er hörte das gedämpfte Atmen im Raum.

    Er war nicht allein.

    Regungslos blieb er in der Hocke und blinzelte mehrfach, als könne das seine Sicht schneller zurück kehren lassen. In seinem Nacken prickelte es, als sich die Härchen dort aufstellten. Mittlerweile hatte er die Richtung des Geräusches ausgemacht und den Kopf dorthin gedreht. Quälend langsam schälten sich Umrisse aus der Dunkelheit. Swifts Hand legte sich auf den Griff seines Messers.

    Die Umrisse gaben sich als Bettkasten zu erkennen, als strohgefüllte Matraze und als Fell, das eine unförmige Gestalt darin bedeckte.

    Swift atmete erleichtert aus. Der Bewohner der Hütte schlief tief und fest. In regelmäßigen Abständen rauschte sein schweres Atmen durch die Hütte. Swifts Blick glitt suchend umher. Die Hütte bestand aus nur einem einzigen, kleinen Raum. Das Bett stand direkt neben dem Kamin längs an die Wand gerückt, um im Winter möglichst viel der Wärme zu erhaschen. Auf der anderen Seite des Bettes erkannte Swift undeutlich ein Möbelstück, das der Form nach eine kurze Bank oder längliche Kiste sein konnte. Ein paar undefinierbare Formen befanden sich darauf. Dem Geruch nach getragene Kleider.

    Damit war eine Längsseite des Raumes komplett ausgefüllt. Die andere Längsseite der Hütte, in die ein vernünftiger Architekt ein Fenster eingebaut hätte, wurde gut zur Hälfte von einem Regal eingenommen. Es machte die ohnehin schon beengten Verhältnisse nur noch ungemütlicher. In der hinteren Ecke des Raumes standen am Ende des Regals ein Tisch und eine darunter geschobene Bank. Ein Paar unabgewaschene Teller und ein paar leere Flaschen ließen sich dort erahnen. Er hatte also Besuch am Abend und sie hatten gezecht. Mit einem letzten Blick auf das Bett löste Swift seine kauernde Haltung auf und schlich durch den Raum, aus den Füßen federnd, den Kopf unten haltend.

    An der Eingangstür angekommen, hielt er inne. Es war ein massives Ding aus zwei Lagen Planken, die rechtwinklig miteinander vernagelt waren. Große Eisennieten glänzten abweisend in den Querplanken. Diese Tür würde ein paar kräftigen Tritten ewig Stand halten – die Angeln und der altersschwache Rahmen jedoch nicht.

    Doch so viel lautstarke Gewalt war nicht nötig, wenn man Swift dabei hatte.

    Er zog sein Messer und schob es in den Türspalt, wo er es auf der Suche nach Hindernissen von oben nach unten hindurch gleiten ließ. Das erste Hindernis machte sich im oberen Drittel mit leisen Klirren bemerkbar. Swift hielt die Luft an, ob der Schatten etwas bemerkt hatte. Erst, als das schwere, tiefe Atmen ununterbrochen weiter ging, untersuchte er durch Tasten das Hinternis. Es handelte sich um eine Kette aus dicken, kleinen Eisengliedern.

    War sie vorgehängt, ließ sich die Eingangstür nur einen Spalt öffnen. Weit genug, um jeden Besucher eingehend zu mustern, ehe man seine Vorsicht fahren und jemanden ein liess. Swift tastete mit der freien Hand über das Türholz, bis er die Schiene am Türblatt fand, in der das Ende der Kette eingelegt war. Er zog das Endstück leise aus der Schiene und lies sie achtlos hängen. Nachdem die erste Sicherung außer Kraft gesetzt war, fuhr er mit dem Messer den Rahmen weiter entlang. Das nächste Hindernis stoppte seine Klinge lautlos knapp über der Mitte der Tür. Er vermutete einen vorgelegten Riegel oder Balken, der der eigentliche Absperrmechanismus der Tür war. Ein Tasten mit der messerlosen Hand bestätigte seine erste Vermutung. Er legte eine Hand auf den Riegel und lauschte auf das Atmen des Schatten, mit dem er in diesem Raum eingesperrt war.

    Ein... aus...

    Ruhig und tief klang das Atmen durch die Hütte.

    Ein...aus...

    Entschlossen schob Swift den Riegel zurück, der mit einem scharfen Geräusch in der Tür einschnappte.

    ...

    Ein... aus...

    Unverändert ging das Atmen weiter.

    Swift atmete selbst leise aus und zog die Klinge den Rest des Spaltes entlang, doch sie glitt bis zum Fußboden widerstandslos hindurch. Der Rest der Türe wies also weder Schloß noch Riegel auf. Der Vollständigkeit halber zog er die Klinge auch durch die Türspalte oben und unten mit demselben Ergebnis:

    Kein Hindernis. Keine Sperre. Kein Problem. Geschickt liess Swift das Messer verschwinden. Er hatte seinen Teil der Abmachung erfüllt. Jetzt waren die anderen dran.

    Noch immer auf das Atmen lauschend schlich er sich in den hinteren Teil des Raumes nahe des Kamins zurück. Seine Füße ertasteten dort durch die Fußwickel hindurch ein bequemes Fell, das von der Aschewolke aus dem Kamin ruiniert sein dürfte. Insgeheim hoffte Swift auf ein weißes Wolfsfell, damit der Schaden effektiver wäre. Doch der schwarze, unförmige Fleck am Boden sah eher nasch schwarzen Warg aus. Dort kauerte sich Swift in einer Haltung hin, in der er es eine Weile aushalten konnte. In einer Ecke fühlte er sich am wohlsten, da er dann nicht davon ausgehen musste, dass ihn etwas von hinten erwischen konnte.

    Obwohl er mit dem Kamin neben sich theoretisch auch einen weiteren Fluchtweg hatte, war er dennoch weit davon entfernt sich wohl zu fühlen oder es sich bequem machen zu können. Es würde noch einige Zeit dauern, bis Pascal und Esterel nachkamen. Der Gardist, den sie am Schießplatz beobachtet hatten, bezog um diese Zeit einen Beobachtungsposten am Torweg. So lange er dort stand, hatten die beiden keine Chance ungesehen einzudringen.

    Sie mussten warten, bis er weiter zog. Den Wachrhythmus der Gardisten hatten sie lange genug studiert und dann entschlossen direkt hinter dem Rücken eines wachhabenden Gardisten den Einbruch durchzuführen. Das war zwar riskant, gab ihnen aber die meiste Zeit, sollten sie in der Hütte auf Schwierigkeiten stoßen.

    Im Augenblick jedenfalls wären diese Schwierigkeiten nur Swifts Problem, würde der Schatten aufwachen und Alarm schlagen. Swift hatte den Gedanken kaum zu Ende gebracht, als das Atmen abrupt aufhörte. Schlagartig hielt Swift den eigenen Atem unter der Maske an. Hatten die ungewohnten, wenn auch leisen Geräusche den Schatten am Ende doch noch geweckt? In die Gestalt auf dem Bett kam Bewegung. Swift hörte genau den Rahmen Ächzen, als der Schatten sein Gewicht verlagerte und wie das Fell raschelte, als er die Decken anhob. Angstschweiß prickelte in Swifts Haaransatz, als sich der Besitzer der Hütte im Bett herum wälzte.

    Dann war es wieder still in der Hütte.

    Swifts Sinne und Nerven waren bis zum zerreißen angespannt während er darauf wartete, was als nächstes kam. Pochende Schritte vielleicht, wenn der Schatten auf ihn zuhielt. Das Singen einer Waffe, wenn der Schatten sein Schwert aus der Scheide zieht. Die Stille in der Hütte begann etwas Drohendes einzunehmen. So drohend wie eine schwarze Wolke, die das nächste Gewitter ankündigt.

    Ein... Aus...

    Das Atmen setzte wieder ein. Swift sank ein Stück in sich zusammen, als ihm klar wurde, dass sich der Schatten nur im Schlaf herum gedreht hatte. Erst jetzt bemerkte er, dass sich seine Hand um den Messergriff verkrampft hatte. Er lockerte die Finger und blieb in seiner aufmerksamen Haltung auf dem Fell kauern, während ihm das Herz noch immer kalt in der Brust trommelte.

    Trotz der Gefahr blieb ihm nichts Anderes übrig als so ruhig wie möglich in der Hütte mit dem Schatten auszuharren, während die Zeit quälend langsam vorbei kroch oder ganz still zu stehen schien. Anstatt sich abzulenken blieb er angespannt, seine Sinne geschärft für die leiseste Veränderung im Atemrhythmus des Schatten. Mehrfach bildete er sich ein Geräusche an der Tür zu hören, doch kein einziges Mal öffnete sie sich zu einem mondblassen Viereck, das seine mittlerweile ersehnten Kumpanen in die Hütte spuckte. Und so durchstand er in dieser feindseligen Umgebung eine zehrende Geduldsprobe.


    Seine Nerven drohten ihm zu reißen, als er sich abermals einbildete ein Geräusch an der Tür zu hören. Kurz darauf verschob sich auch sein Gesichtsinn, als ein schmaler Streifen Mondlicht die Dunkelheit in der Hütte wie mit einer blitzenden Messerklinge zerschnitt. Binnen eines Wimpernschlages schwoll dieser Streifen an. Zwei Gestalten, die eine rank die andere breit gebaut, schlüpften nacheinander und ungleichmäßig geschickt in die Hütte. Danach verschwand der Spalt, als die Tür von innen leise zugedrückt wurde. Es folgte diese angespannte Stille, die sich immer ausbreitete, wenn jemand konzentriert lauschte.

    Swift gab ihnen die Zeit zu erkennen, dass der Schatten tief und fest schlief. Rufen wollte er die beiden nicht, da er fürchtete, dadurch den Schatten zu wecken.

    Swift!?“ Esterels kaum gedämpfte Stimme durschnitt die Stille wie zuvor das Licht die Dunkelheit. Swift hätte ihm in diesem Moment gerne die flache Hand kräftig über den Hinterkopf geschlagen, ginge er nicht das Risiko ein, dass Esterel ihm zum Dank dafür die Knochen brach. Ein dumpfes Geräusch im Dunkeln sagte ihm, dass Pascal weniger Bedenken kannte.

    Au.“, beschwerte sich Esterel, an dessen Stumpfsinn die lautlose Rüge einfach abgeprallt war. Pascal setzte mit einem scharfen Zischen nach: „Pssst!

    Swift entschied, dass das Kind jetzt schon in den Brunnen gefallen war und meldete sich leise: „Er schläft.“ Die Maske vor seinem Mund dämpfte seine Stimme zusätzlich. Doch die beiden hatten ihn dennoch gehört, denn Esterel fragte „Wer?“ zurück. Swift beobachtete die dunklen Schemen der beiden im Raum. Nachdem er so lange in der lichtlosen Hütte gekauert war, hatte ihn das Mondlicht regelrecht geblendet und nun kam er sich wieder blind vor. Doch wenn er die energischen Bewegungen richtig deutete, hielt Pascal Esterel eine Hand vor den Mund, während er ihm ins Ohr zischte.

    Swift konnte auf die Entfernung nur wenige Worte verstehen, doch er wusste schon anhand dessen, was er aufschnappte, dass er den Inhalt bereits kannte:

    Swift steht Schmiere an der Türe. Du bewachst den Schatten und machst ihn unschädlich, sollte etwas schief laufen. Ich kümmere mich so lange um die Truhe. Und. Keinen. Ton.“ In etwa so hatte Pascal es bereits im Neuen Lager gesagt und so ähnlich dürfte er es gerade Esterel durch dessen Gehörgänge in den leeren Kopf zischen.

    Die leisteste Standpredigt, deren Zeuge Swift je geworden war, später kam erneut Bewegung in die Hütte. Esterel wurde mit einigen Schwierigkeiten zum Bett mit dem schlafenden Schatten gelotst. Swift nahm danach den Platz an der Tür ein. Er presste den Rücken gewohnheitsmäßig gegen die Wand daneben und legte ein Ohr zum Lauschen an den Türspalt, wo ihn ein kühler Luftzug am Ohr und am Hals kitzelte. Zu sehen war ohnehin nicht viel.

    Hin und wieder warf er trotzdem einen Blick in den Raum. Am meisten interessierte ihn Pascal. Diesen hatte er auf das Möbelstück neben dem Bett aufmerksam gemacht. Pascal hatte die Kleider dort bei Seite gewischt, die Truhe abgetastet und machte sich nun daran zu schaffen. Swift konnte nicht erkennen, was vor sich ging, doch ihm war aufgefallen, dass Pascal erst jede Stelle am Deckel gründlich untersucht hatte, ehe er sich nun auf den Bereich in der Mitte beschränkte, wo üblicherweise das Schoß saß. Ob er Fallen entschärft hatte?

    Pascal war der einzige unter ihnen und einer der wenigen in der Kolonie, der sich aufs Schlösser knacken verstand. Das war etwas, das ihn wertvoll für die Banditen machte. Doch nicht immer konnte er Aufträge allein ausführen. So auch diesmal. Swift unterdrückte ein Schaudern, als ihm durch den Türspalt ein weiterer Hauch kalte Nachtluft über den Hals strich. Pascal war gut, zweifelsohne, doch ohne jede Fantasie. Die Hütte hätte er niemals aufbekommen. Daher brauchte er Deppen wie Swift und Esterel, die die Drecksarbeit für ihn machten, sinnierte Swift im Stillen, während von der Truhe leise Klickgeräusche kamen.

    Und Swift brauchte das Erz.

    Pascal hob den Deckel an und tastete darin herum. Esterel stand neben dem Bett positioniert, die kräftigen Hände um einen dicken, schweren Knüppel gelegt. Um des Schattens willen hoffte Swift für ihren Gefangenen, dass er nicht erwachte.

    Pascal kramte in der Truhe. Swift wurde langsam ungeduldig. Wie viel konnte schon in so einer popeligen Truhe liegen, dass es so lange dauern würde einen einfachen Gegenstand zu ertasten? Ob Pascal gerade entgegen aller Abmachungen seine Finger nicht von fremden Sachen lassen konnte? Swift verzichtete darauf, etwas dagegen zu sagen. Ihn würde am Ende des Tages einfach nur das Erz interessieren und nicht ob sich irgendjemand an längst gebrochene Regeln hielt. Er würde nur dann den Mund aufmachen, wenn von draußen Gefahr drohte.

    Endlich klappte Pascal den Deckel zu. Swift hatte nicht aufgepasst, was er mitgenommen hatte. „Sieh nach, ob die Luft rein ist.“ Pascals Flüstern war kaum lauter als ein Atmen. Swift lauschte konzentriert am Türrahmen, dann zog er sie einen Spalt auf und spähte hinaus. Im ersten Moment war niemand zu sehen. Er zog die Tür weiter nach innen, bis er den Kopf hinausstrecken und die Straße in alle Richtungen überschauen konnte. Schließlich schlüpfte er ganz hinaus, lehnte sich ein Stück vor und spähte noch einmal in alle Richtungen, ehe er mit einem leisen Klopfen gegen den Türrahmen hinter ihm das Signal gab, dass sie verduften konnten.

    Ohne auf die anderen beiden zu warten, entfernte er sich bereits auf dem Weg von der Hütte. Er ging wie abgemacht zur nächsten Hausecke, um dort die Umgebung weiter im Blick zu behalten. Bereits auf dem Weg dorthin kam ihm irgendetwas komisch vor, doch er konnte nicht sagen, was es war. Nachdenklich kratzte er sich im Nacken, wobei seine Finger gegen die Maske stießen, die er noch immer vor Mund und Nase trug.

    Mit einem Schrecken riss er sie sich herunter. Wenn ihn damit jemand gesehen hätte!


    So unauffällig wie sie gekommen waren, verließen sie das Lager wieder. Zu dritt und mit ihrer Beute legten sie den Weg durch die Wildnis zurück.

    Du sagtest, du kaufst mir zwei Flaschen Schnaps dafür.“, maulte Esterel dümmlich.

    Ja, ja.“, machte Pascal genervt, „Ich kaufe ihn dir, sobald wir zurück im Lager sind.

    Esterel schien aufgeheitert. „Warum tragen wir eigentlich Säcke voller Steine hin und her?“, fragte er nach einer Weile.

    Das musst du nicht wissen.“, sagte Pascal mit etwas zu viel Nachdruck.

    Swift mischte sich nicht in das Gespräch ein. Ihm brannten noch immer die Arme von dem Abstieg im Kamin und er hing seinen eigenen Gedanken nach, während er seinen Teil der Beute trug. Als Straßenkind schon hatte er krumme Dinger gedreht, bis sich sein Körper durch das Heranwachsen verändert hatte. Natürlich ist er auf einem seiner Einbrüche erwischt worden. Swift hob den Kopf und sah in den Himmel, wo sich die Barriere glühend abzeichnete. Nun war er hier in der Kolonie und lebte sein Leben weiter... irgendwie.