Thoran - Der verlorene Wolf

  • Es ist ein ruhiger Mittag, als Thoran sieht, dass die Türe zu der Hütte seiner Eltern sich öffnet. Die kalten Winde Nordmars ziehen sofort herein. Schnell schließt sein Vater Ivar die Türe hinter sich und schaut mit freundlichem Blick zu ihm. Er hat schon einige Eiszapfen und Schneeflocken im Bart, welche sich trotz des großen Ofens in der Hütte einige Zeit halten. “Na mein Junge, hast du heute schon geübt?” fragt er den 12-Jährigen mit seiner freundlich brummenden Stimme. Der aufgeweckte Junge springt auf, macht die Geste eines Bogenschusses und spricht begeistert: “Ja Vater, heute habe ich immerhin die Hälfte des Köchers in der Zielscheibe versenkt.” Danach stemmt er stolz die Hände in die Hüfte. “Gut, gut”, brummt der Vater “Dann kann ich dich bald mit auf die Jagd nehmen”, spricht er nun leiser “Sag aber bloß deiner Mutter nichts davon” und zwinkert ihm zu. Thoran zwinkert ihm gespielt verschwörerisch zurück “Natürlich nicht”.



    Ein duftender Topf mit Hirschgulasch steht auf dem Tisch. Die Sonne ist schon hinter dem Horizont verschwunden und das eisige Nordmar fühlt sich noch kälter an. “Junge”, spricht der Vater wieder mit brummender Stimme zwischen zwei Happen aus der Schüssel “Morgen gehen wir gemeinsam nach Faring. Dort verkaufen wir den myrtanischen Hungerhaken die Felle und Geweihe, Krallen und Zähne, die ich in den letzten Tagen erjagt habe.” Die Augen Thorans weiten sich und er stottert überrascht “Ich…. Ich darf mitkommen?” Die Augen seiner Mutter weiten sich ebenfalls, allerdings in einer Mischung aus Entsetzen und Ärger. Sie poltert: “Ivar. Der Junge ist noch nicht alt genug” Thoran mischt sich ein: “Aber Mama! Ich bin schon groß genug! Ich will mit Papa mitkommen. Ich will auch mal so ein großer Jäger sein wie er” Sein Vater schüttelt den Kopf nach den Worten seiner Frau “Martha, er muss das alles lernen. Wenn mir mal was passieren sollte auf einer Jagd, dann soll er zumindest meine Geschäftspartner kennen. Das ist ebenso wichtig, wie das Bogenschießen und das Ausnehmen der Tiere. Er kommt morgen mit” Thoran nickt währenddessen immer wieder zustimmend, als hätte er einen Anteil an der Entscheidungsfindung.



    Thoran wacht schon vor dem Sonnenaufgang auf, kleidet sich schnell an und nimmt seinen Übungsbogen in die Hand. Damit macht er sich auf nach draußen und beginnt im Morgengrauen auf das aufgebaute Ziel zu schießen. In der Dunkelheit treffen nur wenige Pfeile das Ziel, dennoch ist er stolz auf seine Treffer. Als er ein Knarzen hört, dreht er sich um und erblickt den Kopf seines Vaters in der Türe, welcher ihm stolz zunickt “Du bist ja schon wieder am Üben. Gut, gut! Komm mal rein, Kleiner. Wir machen uns bereit zum Aufbruch nach Faring” Und so sammelt er schnell die Pfeile aus dem Ziel und drumherum zusammen und begibt sich wieder in die Hütte. Dort packt seine Mutter schon einen großen Proviantbeutel für die Beiden zusammen. “Hier pack mal mit an.”, sagt der Vater, der gerade einige Fellbündel verschnürt. Und so hilft der junge Thoran seinem Vater. Sie schnüren weitere Fellbündel zusammen und packen Krallen, Zähne und Geweihe teilweise dazwischen. “Also, alles bereit?” fragt der Vater “Dann machen wir uns auf den Weg” Seine Mutter Martha drückt Thoran und Ivar einen Kuss auf die Stirn und sagt: “Kommt mir ja wieder heile nach Hause” Und so begeben sich die Beiden nach draußen und machen sich auf den Weg durch die eisigen Schluchten und Plateaus des Nordens. Der Vater wendet sich seinem Sohn mit ernstem Gesicht zu “Pass auf. Wie ich es dir schon oft gesagt habe, die Wildnis ist gefährlich. Aber wenn wir das hier geschafft haben, dann bist du bereit für deine erste Jagd, aber sag das bloß nicht deiner Mutter, dass ich dir das versprochen habe” und lacht kurz. Thoran nickt nur und bestaunt die Wunder der Natur. Sie stapfen teilweise durch hüfthohen Schnee, gehen vorbei an gewaltigen Nadelbäumen, welche sich in atemberaubende Höhen erheben und wandern über große, vereiste Flächen. Immer wieder kann man in der Entfernung alle möglichen Tiere erahnen. Auf Einmal schnellt die linke Hand des Vaters in die Höhe und er erstarrt. Etwas abgelenkt von den Wundern der Natur bemerkt Thoran dies gerade noch rechtzeitig und kurz bevor er in den Rücken des Vaters laufen würde. Der Vater steht weiterhin wie erstarrt da. Thoran flüstert “Was ist?” und der Vater schnellt herum und hält ihm die Hand auf den Mund. Wieder horcht er auf und zeigt nach einigen Momenten der Stille seitlich zu ihrem Weg und bewegt sich in diese Richtung. Nachdem sie ein ganzes Stück gegangen sind flüstert er zu seinem Sohn “Das waren Orks. Wir sind wohl einer ihrer Patrouillen fast begegnet” In diesem Moment zischt ein Bolzen zwischen den Beiden durch und landet einige Meter vor ihnen mit einem dumpfen Aufschlag im Boden. “Lauf!” schreit der Vater “Lauf so schnell du kannst.” und schiebt den Jungen nach vorne. Thoran nimmt die Beine in die Hand und rennt los. Zu ihrem Glück sind sie schon weiter im Süden und sie müssen sich nicht mehr durch den Schnee kämpfen. Der Vater nimmt im Lauf ein Beil in die eine Hand und einen Jagddolch in die Andere. Thoran wird langsamer als er sieht, was sein Vater vorhat. “Ich kämpfe an deiner Seite!” sagt er mit zittriger Stimme und zieht ein kleines Messer von seinem Gürtel “Lauf!” schreit der Vater nochmal mit Inbrunst in der Stimme und dreht sich dann um. Thoran rennt nach der Anweisung weiter. Er läuft so schnell er kann so lange er kann. Bäume rasen an ihm vorbei und er vergisst die Zeit. Wie lange läuft er jetzt schon? Minuten, Stunden, Tage, Wochen? Er versteht die Welt nicht mehr.
    Nach einiger Zeit lichtet sich der Wald weiter. Der junge stolpert durch ein Gebüsch, bricht daraus hervor und erliegt dort seinem langen, kräftezehrenden Spurt. Auf einmal spürt er etwas Feuchtes an seinem Kopf. Langsam öffnet er die Augen und blickt in die Augen eines Oxen, welcher über sein Gesicht leckt “Vater” murmelt er dabei “Wo bist du?” Thoran drückt sich aus seiner liegenden Position hoch und schaut sich um. Dort schaut ihn ein freundlich lächelnder, älterer Mann an “Ah. Ich sehe du bist wach. Du warst einen ganzen Tag bewusstlos Junge. Was ist dir denn passiert? Bist du überfallen worden? Warum lagst du denn einfach so auf der Straße herum?” Thoran schüttelt verwirrt seinen Kopf und ist von der Situation völlig überfordert “Orks… Wo… Wo ist mein Vater. Und die Orks. Bei Innos. Sind die Orks weg?” presst er unter immer noch schwerem Atmen hervor. “Hier sind keine Orks, Jungs. Nicht kurz vor Vengard”



    Acht Jahre später:

    “Thoran, was hast du alles erbeutet?”, fragt ihn einer seiner Kumpanen aus ihrer kleinen Diebestruppe. Thoran schaut hoch und winkt ab “Die Leute haben auch nicht mehr so viel wie früher. Zwanzig läppische Goldstücke hatte der Typ nur dabei” und wiegt den Geldbeutel in seiner Hand ab. Sie sitzen in einer kleinen Kammer, das Hinterzimmer einer Kneipe. Der Kopf des Mannes, der ihn damals aufgesammelt hatte, drückt sich durch die Türe und zischt “Leiser, ihr Plappermäuler. Nicht, dass man euch hört” Aus ungefähr zehn Kehlen junger Männer und Frauen kommt ein leises “Entschuldigung David!” Der alte David sammelt immer wieder verlorene Kinder und Jugendliche auf und gibt ihnen eine Anstellung in seiner Spelunke. Gelegentlich auch nicht legale Zusatzaufgaben. Die jungen Männer und Frauen zeigen in der Runde nach und nach ihre ‘Gewinne des Tages’.

    Doch auf einmal hört man ein Poltern im Vorraum. Die Gruppe schreckt auf und einer der jungen Männer schleicht zur Türe um zu sehen, was dort vor sich geht. “Auf den Boden ihr dreckigen Verbrecher”, hört man nun, während Soldaten in die Kneipe stürmen. Einige aus der Gruppe versuchen durch die Hintertüre zu entkommen doch auch da stehen schon Soldaten. Einige aus der Gruppe stürmen mit gezogenen Dolchen in Richtung der beiden Türen und dann auf die Soldaten zu. Doch sie werden alle kurzerhand im Kampf überwältigt und getötet “Wer leben will. AUF DEN BODEN!” schreit einer der Soldaten und so wirft sich Thoran auf den Boden und hält die Hände über seinen Kopf.