Der Mann mit hundert Fingern

  • Irgendwo in den äußeren Bezirken Monteras.

    Die Marktstände schlossen langsam und Arbeiter verschwanden nach und nach in den Tavernen und Bordellen. In einer kleinen Hütte mitten in den Gossen wallte stoßweise das Stöhnen einer Frau auf, gedämpft nur durch die Wände welche die Zimmer voneinander trennten. Der Junge im Nebenzimmer ignorierte es mittlerweile gekonnt. Meistens ging er los und versuchte in den Straßen sein Glück, wenn seine Mutter Kundschaft hatte, doch wenn sich die Möglichkeit auf leichte Beute ergab war Bovarr nicht weit. Flink zückte er das Goldsäckl aus den, in eiliger Wollust abgelegten, Klamotten des Mannes der genauso gut sein Vater sein konnte wie halb Montera.

    Ehrliche Arbeit und Bovarr waren ein Paar das nicht lange zusammenblieb, und in den allermeisten Fällen war es Zweiterer der aus der Beziehung schied. In der Stadt bekam er schon gar keine Arbeit mehr, und auch auf den Höfen vor der Stadt scheuchte man ihn schnell wegen einigen wenigen geklauten, Kartoffeln, Rüben, Zwiebeln, Kohlköpfen, Weizensäcken, Möhren und all jenen Gaben der Felder davon. Natürlich hinderte es Bovarr nicht daran trotzdem immer und immer wieder etwas in seine Taschen wandern zu lassen.


    Schnell bemerkte er das vier Hände mehr greifen konnten als zwei. Und zehn vermochten noch so einiges mehr. Es dauerte also nicht lang und bald war Bovarrs kleine Schar Gossenkinder selbst den Bütteln der Stadtwache nicht mehr unbekannt. Je mehr Hände Bovarr wuchsen, desto mehr konnte er seinen Geist spielen lassen, und klug wägte er ab wo und wie sie zuschlugen um nicht zu viel Aufmerksamkeit zu erregen. So etwas wie Ehre gab es zwischen den konkurrierenden Banden nicht. Immer wenn eines von Bovarrs Ohren etwas heikles zugeflüstert bekam dauerte es nicht lange bis die Worte ihre Wege in die der Büttel und ein paar Münzen in seine Hände fanden. Selbstredend erst nachdem er selbst seine Arme ausgestreckt und ein paar Goldsäcke aufgescheucht hatte, was ansonsten bei den Bütteln für Aufsehen gesorgt hätte. Doch Informationen und der bloße goldene Nervenkitzel von Korruption ließ die Büttel bei Bovarr stillhalten.

    So ging es einige Jahre gut für Bovarr und seine Hände. Sie wußten wie mit der Obrigkeit umzugehen war, wer sich bestechen ließ, hatten ihre Finger in vielen der kleinen Geschäfte und nahmen Kleinigkeiten aus hundert Taschen. Das Leben war gut, doch sollte die Gier, Gram der Erfolgreichen, auch Bovarr irgendwann in die Glieder kriechen.

    Begonnen hatte es alles mit einem faustgroßen Loch, dass sich durch Karren- und Truhenunterseite des Steuereintreibers Zehntabgaben fraß. Die kleineren Delikte in den Gossen und ärmeren Handelsvierteln Monteras zum größten Teil hinter sich lassend, füllten sich Bovarrs Taschen immer mehr mit dem Gold der Reichen. Auch ihr nächstes Unterfangen sollte ihnen reiche Beute bescheren, viel mehr als sie eigentlich nötig hatten.

    Der Plan war einfach. Einfache Pläne waren die besten, so fand Bovarr. Einfache Pläne waren nicht kompliziert. Und Komplikationen konnten sie sich nicht erlauben. "Schönling", wie er unter Bovarrs Schar nur genannt wurde, hatte eine edle Dame mit noch edlerem Gatten verführt und ging des Nachts im Anwesen ein und aus wie es ihm beliebte. Sie kannten die Räume, die Verstecke, die Diener. Nun war es lediglich eine Frage der Ausführung. Ohne besondere Vorsicht trat die Bande in das Anwesen ein. Der Boteneingang war bestens gelegen. Der feine Pinkel hatte es nicht gerne wenn man ihre Diener zu sehr zu Gesicht bekam. Während Schönling sich ein letztes Mal mit den edlen Brüsten der Dame vergnügte, fielen in den Dienstgängen eine Magd und zwei Burschen mit dumpfem Aufprall zu Boden.

    Das Grinsen, dass sich auf Bovarrs Gesicht stahl als seine Finger sich ausstreckten und jeden Winkel des Anwesens durchsuchten, hielt noch lange nachdem sie wieder verschwunden waren an. Ein leeres Haus verlassend zogen sie ihre, mit Beute und ungeahnten Problemen beladenen, Säcke zurück in den Hort. Unter der Beute war auch eine Menge Tand. Nicht unbedingt wertlos, aber für Leute wie sie nicht ohne weiteres in bare Münze tauschbar.

    Handelsaufzeichnungen, Schuldscheine oder Siegelstempel. Solcherlei Dinge wurden im Hort aufbewahrt bis sie einen Nutzen für die Scharr einbrachten. Zu wenig wussten sie über die Intrigen des Adels, als dass sie die Gefahr in solcherlei Dingen erkannten. Die restliche Beute wurde nach und nach an verschiedenste Unterhändler verbreitet und wandelte sich so unverfolgbar in gutes altes Gold um. So jedenfalls dachte Bovarr.

    Doch auch wenn die Büttel und der Edelmann sich augenscheinlich ruhig verhielten, so konnten aufmerksame Augen in den folgenden Wochen doch immer wieder grimmig aussehende Gestalten in der Stadt umherschnüffeln sehen. Nichts ahnend verprasste Bovarr seinen großzügigen Anteil an der Beute. Er brauchte eine Weile nicht schuften, und auch wenn es leicht verdient war, so war nichts tun doch immernoch besser. Gesang, Wein, feines Fleisch mit Soßen und die hüpfenden Euter seiner Lieblingsdirne waren alles was er in den kommenden Wochen in seinem Kopf, Mund und Händen haben wollte.

    Die Nächte durchzechend schlief er mehr als nur einmal in den Armen der Frau ein, die sich letztendlich als sein Verhängnis herausstellen sollte. Denn während er sich vergnügte und mit seinen Geniestreichen prahlte suchten die Häscher des Edelmannes unablässig nach der Ware die seine geheimen Intrigen und Machenschaften aufdecken könnten. So dauerte es nicht all zu lang bis sich Bestechung und Schmiergold auch in den Taschen der Dirne einfanden. Noch am selben Tag stürmten die Schläger das Bordell und prügelten Bovarrs Bewusstsein brutal aus seinem Körper und die Welt verschwamm vor seinen Augen.

    Einige Monate später.

    Mit einem schmalen Grinsen und durchgestrecktem Rücken marschierte Bovarr auf den Rand des, von bläulichen Blitzen gestreiften, Abhanges zu. Nachdem der Edelmann seine Dokumente wiedererlangt hatte, war er wie ein benutztes Schnupftuch beiseite geworfen worden. Lediglich einen letzten Rest Aufmerksamkeit schenkte der Edelmann ihm, als er seinen Schergen befahl dafür zu sorgen dass er sein restliches jämmerliches Leben in der Kolonie schuften sollte. Mit angeblichen Morden und anderen Lügen hatten sie bei einem korrupten Richter für seine Verurteilung gesorgt. Er ein Mörder, heh! Die Ironie brachte Bovarr fast dazu laut los zu prusten. Immer der Arbeit entfliehend sollte er nun an den Ort kommen an dem es vor selbiger keinen Ausweg gab. Sie würden schon sehen, dass es keinen Sinn bei ihm haben würde. Er würde auch hier einen Weg finden anderen das Gold aus der Tasche zu ziehen, während er sich, gemütlich die Beine hochlegend, daran erfreute. Mit dem breiten Grinsen provokant den Urteilsvollstrecker anlächelnd sprang Bovarr mit dem Kopf vorran in die Barriere, seinem neuen Leben entgegen.


    <aus Bovarrs Erzählungen von dem Buddler Gando niedergeschrieben. Props gehen raus an Gando>