Das ist hier alles schon wieder der ewige Streit und ich habe mich eigentlich schon in der Vergangenheit häufig zu dem grundsätzlichen methodischen Problem geäußert. Ich erlaube mir hier aber erneut eine grundsätzliche Erklärung abzugeben.
Wir haben nur das, was wir über die Gothic-Spiele überliefert haben und das ist, wie hier vielfach auch angesprochen worden ist, die Grundlage der Bewertung ob etwas einen Platz hat oder nicht. Dabei ergeben sich allerdings drei Probleme:
1.) Die Gothic-Spiele übermitteln nur einen sehr kleinen Teil. Keine Gesellschaft, keine Wirtschaft, keine Ökologie, keine Religion würde auf Grund der sehr wenigen Daten, wie sie sich in den Spielen präsentieren, funktionieren. Das ist so und die Spielemacher haben aus mechanischen, dramaturgischen und spielerischen Gründen auf sehr vieles verzichtet. Verständlicher Weise. Sie hätten uns zwar mit animierten Grashüpfern, einer Bibliothek mit theologischen Abhandlungen, Steuererklärungen etc. beglücken können, aber das würde wohl kaum den Spielgenuss der meisten Spieler fördern. Darum entschied man sich z.B. viele Schwerter einzubauen, weil das Spieler viel mehr interessiert.
2.) Eine vernünftige Quellenkritik findet bei vielen Leuten nicht statt. Wenn X in Gothic irgendwas behauptet, dann scheint manchen Personen das zwingend ein Gesetz. Das muss man aber überprüfen und vielfach muss man an manchen Aussagen doch zweifeln, vor allem wenn sie nicht anderweitig belegt werden.* Die meisten Aussagen zeigen nur Denkräume auf. Wenn in Gothic 2 Spielmechanisch Schafe eingebaut sind, gibt es keinen Zweifel an der Existenz von Schafen. Wenn eine Person in Gothic von Elefanten sprechen
würde, dann wäre das zwar aber kein direkter Beleg für Elefanten. Indirekt aber schon, weil es zumindest aufzeigt, dass Elefanten eine denkbare Kategorie sind. Dabei kann es sich nun aber immer noch um ein Phantasiewesen handeln.
* Wenn z.B. Horapollon schreibt, es würde nur weibliche Geier geben und diese liessen sich vom Wind befruchten, dann würden wir doch auch nicht glauben, dass es nur weibliche Geier gibt. Wir würden nur erfahren, dass es in der Spätantike offenbar die Möglichkeit gab, Geier nur für weiblich zu halten. Ob das schon in der Antike ein gültiger Gedanke mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit war müsste man aber nochmal zusätzlich prüfen. Wenn man sich mit der Gothic-Lore beschäftigt, sollte man methodisch genau das Gleiche tun.
3.) Die Macher von Gothic sind auch keine allwissenden Götter. Ihnen passieren Fehler, Logiklücken oder Konzepte sind unreif ausgearbeitet. Das ist für das Spiel meist kein Problem, aber für uns wohl schon. Man muss auch ihr Vorgehen teilweise hinterfragen. Sie projizieren bewusst oder unbewusst vieles aus unserer europäischen Vorstellungswelt unreflektiert in Gothic. Das fällt den meisten Spielern nicht auf, weil sie sich nicht so sehr bewusst sind, dass Dinge nur in ihrem eigenen kulturellem Horizont logisch erscheinen. In unserer Kultur gibt es aber für vieles eine Begründung, die man uns in Gothic oft schuldig bleibt. Ein kurzes Beispiel genüge hier: In Gothic werden Kreuze als Symbol in funerärem Kontext (auf Friedhöfen) verwendet und zugleich als Symbol für Heilkunst (vgl. Heil-Spruchrollen). Dass Kreuze in unserer Kultur in diesen beiden Kontexten verwendet werden, ist historisch gut begründbar und einleuchtend. In Gothic ist es das keineswegs, weil "Kreuz" mit keiner Bedeutung aufgeladen ist (ausser jener, die wir von unserem Weltwissen dorthinein projizieren). Wenn nun ein Char im RP die intelligente Frage stellt, warum man eigentlich Kreuze aufstellt und nicht irgendwas anderes macht, gerät man ins Schwimmen, weil man die christliche Heilsgeschichte eben nicht als Begründung anführen kann.
Wie gezeigt worden ist, ist unser Bild sehr lückenhaft und von unserer eigenen Rezeption und den Entscheidungen der Spielemacher zusätzlich verzerrt. Dass man mit einer fundamentalistischen Einstellung "nur was in Gothic belegt ist, gilt", nicht weiterkommen kann, hat man hoffentlich daran gesehen. Intelligentes, ansprechendes RP kann man damit jedenfalls nicht machen - denn dann dürfte man ja streng genommen auch nur Wörter und Sätze verwenden, die in Gothic vorkamen und müsste einer noch strengeren Lesart zu Folge sogar das Geschehen von Gothic einfach nur nachspielen. Das ist aber nicht SKO. Man muss also, wie das auch schon angeklungen ist, auswählen, wo man den Inhalt logisch und sinnvoll ergänzt.
Das ist aber doch schwieriger als es aussieht, da "passt zum Setting", wie geschrieben worden ist, doch sehr, sehr subjektiv bleiben muss. In Gothic 1 wird auf Neuschwedisch gesungen... gehört damit das Schwedisch der Frühen Neuzeit zum Setting? Die Tempel in Varant sind mit persischen (achaimenidischen) Darstellungen verziert - gehört damit die Persische Kunst des Altertums zum Setting?
Ich denke man wird sich wohl einig sein können, dass dem nicht so ist. Es ist also nicht so einfach wie es scheint.
Dieser Beitrag hat nun zu der Fragestellung nichts konkret beigetragen - wie auch, das ist ja zum großen Teil bisher subjektives Gerate gewesen. Da, wo es das nicht war, war die Diskussion aber meines Erachtens auch nicht überall zielführend und hatte grobe methodische Probleme. Ich hoffe die entsprechenden Personen darauf aufmerksam gemacht zu haben.