Nachdem sie sich zuprosten, legt sein Bruder den Arm um Bens Schulter, wie um ihn in eine halbe Umarmung zu nehmen. Stattdessen fasst er die Hand an seinen Nacken und schließt sie in einem festen Griff, der beinahe schmerzt. „Lüg mich jetzt nicht an!“ raunt Tom.
Seine Stimme ist so weit gesenkt, dass die anderen Kneipengäste ihn nicht hören können. „Ich hab dich und deine Kumpels am Hafen belauscht. Ich weiß, was ihr heute Nacht vorhabt.“ Ben schnaubt genervt, drückte seinen Ellbogen gegen Toms Seite und zieht seinen Hals aus der Umklammerung. „Reg dich ab, Mann!“ Er nimmt einen großen Schluck zur Beruhigung, während sich Toms zorniger und vorwurfsvoller Blick in sein Gesicht bohrt. Verdammte Scheiße! Seine Nerven liegen ohnehin blank. Das hier kann er nicht gebrauchen. „Es ist keine große Sache“ knurrt er, um einen gelassenen Tonfall bemüht. „Wir sind rein und wieder raus, bevor irgendwer was merkt. Du weißt genau, dass wir das Geld brauchen.“
Tom stößt mit seinem Zeigefinger unsanft gegen Bens Brust. „Wenn du öfter mit mir fischen gehen würdest, statt hier zu trinken. Vielleicht wär das Geld nicht so knapp!“ Ein Schwall von Wut steigt in Ben hoch wie aufkochendes Wasser. Der Fang fällt schon seit Monaten immer schlechter aus. Zu oft stehen die Brüder vor leeren Netzen, und der Wahl zu essen oder die Miete für ihre schäbige, enge Katte zu bezahlen. Wenn Dinge so weitergehen, werden sie sich hungrig in der Gosse betten noch bevor das Jahr um ist. Ohne Bens Diebereien wäre es schon längst so weit gewesen. In diesen harten Zeiten ist das Trinken ein notwendige Hilfe um dem Druck standzuhalten. Tom ist dabei selbst kein Heiliger und hat mit seinem Bruder regelmäßig ein Bier zu viel. Seine Vorwürfe sind nicht gerecht, und er weiß es genau.
Noch ehe Ben ein gesalzene Antwort auftischen kann, die er später bereuen wird, hebt sein Bruder in einer versöhnlichen Geste die Hände an. „Hey. Ben. Ich will nicht streiten. Ich mach mir Sorgen um dich, Mann.“ Tom ringt sich ein schiefes Lächeln ab, das die betrübten Augen nicht erreicht. Er legt einen sanften Griff um Bens Handgelenk und zieht seine Hand in die Höhe. Auf Bens Handrücken leuchtet das Brandmal in frischem, stechenden Rot. „Wenn du es schon vergessen hast, dann sieh es dir genau an!“ Tom schüttelt seinen Griff um die Hand seines Bruders, was Ben ein genervtes Knurren entlockt. „Das haben sie dir beim letzten Mal verpasst. Das war nur eine Warnung. Beim nächsten Mal hacken sie sie dir ab, sperren dich ein oder schicken dich weg!“ Tom löst seinen Griff und starrt seinen Bruder aus großen, flehenden Augen an. „Bitte Mann! Sei einmal kein Trottel!“ Den Blick nicht ertragend starrt Ben in seinen Krug. Sein Bruder hat Recht. Natürlich hat er Recht! Er wird sich mit diesem Schwachsinn um Kopf und Kragen bringen. Er wird seine Hand verlieren oder schlimmeres.
Es hat drei Gründe, weshalb Ben es trotzdem durchziehen wird: Erstens will er nicht hungernd in der Gosse landen. Er und sein Bruder sollen mehr vom Leben haben. Zweitens hat er es den Jungs versprochen. Drittens, uneingestanden und unbewusst: Zu nehmen was nicht seins ist, und die Folgen zu riskieren, lässt ihn sich lebendig fühlen. Ben braucht den Nervenkitzel genauso wie er sein Bier braucht.
Ben atmet tief durch und schafft es, seinem Bruder einen zuversichtlichen Blick zu widmen. „Alles wird gut. Rein und wieder raus, ohne Schwierigkeiten. Dann können wir morgen die Arbeit mal niederlegen. Und für die Miete ist auch gesorgt.“ Ben setzt sein breites Grinsen auf und wuschelt Tom durch die Haare. „Mach dir keine Sorgen. Trinken wir lieber noch was!“