Hallo
Hier werde ich mit der Zeit die ein oder andere Geschichte zu Albert Streit veröffentlichen. Bei der Erstellung werde ich keine chronologische Reihenfolge einhalten, aber sollten neue Geschichten hinzukommen, werde ich sie in Spoilern nach der zeitlichen Begebenheit sortieren. Kommt eine neue Geschichte hinzu, werde ich im Thread eine kurze Info dazu hinterlassen.
Liebe Grüße und viel Spaß...!
Das Verbrechen des Albert Streit
„Die Suppe ist schon wieder versalzen, du nutzloses Weibstück“, murrte Alwin und ließ den Löffel zurück in die Schale fallen. „Wofür hab ich dich eigentlich geheiratet?“
Albert senkte den Kopf und tat, als habe er nichts von alledem mitbekommen. Still aß er die tatsächlich versalzene Suppe und beschwerte sich nicht. Sein Vater hingegen war weit weniger genügsam.
Alwin wagte einen zweiten Versuch und spuckte die Brühe quer über den einfachen Holztisch, an dem er zusammen mit Albert und seiner Mutter Agathe das Abendmahl einnahm. „Ich werde dir beibringen, unser Abendessen nochmal so zu verschandeln!“, schrie Alberts Vater auf. Beim Aufstehen kippte der Schemel unter ihm krachend zur Seite. Es folgten das Alberts Ohren gut bekannte Klatschen mehrerer Ohrfeigen und das mitleiderregende Wimmern seiner Mutter. „Ja, jammer nur, du hässliche Kuh! Es tut sicher nicht mehr weh, als von deiner Suppe zu kosten!“ Wieder und wieder schlug er zu.
Albert tat weiter, als wäre er nicht da. Mit gesenktem Kopf würgte er die salzige Brühe herunter und versuchte, möglichst wenig Aufmerksamkeit zu erregen. Ein Tag, wie jeder andere auch.
Ein lautes Klopfen ließ die Eingangstür erzittern. Alwin bemerkte es nicht. Er war zu noch zu beschäftigt, seine Frau zu prügeln.
Dankbar für die Ablenkung, sprang Albert sofort auf. Drei Schritte später stand er vor der Tür, getrieben von den klatschenden Schlägen und dem lauter werdenden Geheule seiner Mutter. Vorsichtig öffnete er sie einen Spalt breit und lugt nach draußen.
„Alles in Ordnung bei euch?“, fragte Fabian.
Albert atmete erleichtert aus. „Alles in Ordnung, Ernst“, murmelte Albert. „Alles wie immer.“
Fabians Stirnrunzeln signalisierte, dass er wusste, dass nicht alles in Ordnung war. „Ja, alles wie immer, das höre ich. Soll ich ein paar meiner Kollegen vorbeischicken, damit dein Vater sich eine Nacht in den Zellen abreagieren kann?“
„Bloß nicht! Das würde alles nur schlimmer machen. Er wird sich sicher gleich beruhigen. Die Stadtwache hat mit dem Gesindel im Hafen bestimmt genug zu tun.“
Fabian sah nicht überzeugt aus, aber er nickte. „Also gut. – Wir sehen uns morgen, Streit? Ich hab morgen frei. Lust, mit den anderen Jungs ne Runde fischen zu gehen?“
„Ich, äh…“ Aus dem Klatschen im Hintergrund wurden dumpfe Faustschläge. „Mal sehen, besser du gehst jetzt“, murmelte Albert. „Wir sehen uns morgen im Hafen.“ Dann schlug er Fabian die Tür vor der Nase zu. Mit einem schuldigen Gefühl in der Magengegend wandte er sich um.
„Was glotzt du so, Bengel?“, schrie ihn sein Vater an.
Halb unter ihm, halb unter dem Tisch, kauerte wimmernd Alberts Mutter. Dunkle Haarsträhnen verdeckten ihr Gesicht, von dem er genau wusste, dass es mittlerweile in allen Regenbogenfarben leuchten musste, und dass die Haut sicher an mehreren Stellen aufgeplatzt war.
„Willst du auch noch was?“, kam Alwin kam drohend auf ihn zu. „Wer war das? Dein schmieriger Freund von der Stadtwache wieder? Ich werde dich lehren, diese dreckigen Speichellecker an meine Tür zu lassen!“
Zwei lange Schritte später war Alwin über ihm. Er sah die geballte Faust noch schemenhaft heranfliegen, dann ein Schmerz in der Bauchgegend, der ihm sämtliche Luft auf den Lungen presste. Keuchend krümmte Albert sich zusammen und schlug die Hände über den Bauch. Der nächste Hieb traf ihn auf den Hinterkopf. Er stürzte, fing sich gerade noch mit den Händen ab und wusste sofort, dass es ein Fehler war. Der folgende Tritt traf seine Rippen. Albert rollte zur Seite. Schutzsuchend krümmte er sich zusammen, doch kein Laut kam über seine Lippen. Die Prozedur war ihm wohlbekannt. Tatsächlich vermochte er sich nicht zu erinnern, einmal einen Tag erlebt zu haben, an dem die Schläge ausgeblieben waren. Sein Vater war ein streitsüchtiger Trunkenbold, bei dem es nur eine Regel gab, die er niemals brach: Er schlug seinen Sohn nicht ins Gesicht.
Als der nächste Tritt ausblieb, riskiert Albert einen vorsichtigen Blick. Von unten sah er in das rot angeschwollene Gesicht seines Vaters. Die Augen weit aufgerissen, gezierte von einer Vielzahl geplatzter Äderchen und unterlegt von dunklen Augenringen. Struppiges, schwarzes Haar bedeckte den Kopf, und irgendwo dazwischen: der stählerne Kopf seines Schmiedehammers. Alwins Augen schienen förmlich aus ihren Höhlen zu treten. Seine spröden Lippen öffneten sich zu einem lautlosen Schrei, dann kippte er geräuschlos vornüber und begrub Albert unter sich.
Albert roch kalten Schweiß, schales Bier und den metallischen Geruch von Blut. Panisch kämpfte er sich unter dem noch zuckenden Leichnam seines Vaters hervor. Als es ihm endlich gelang, waren seine Hände und seine Kleidung glitschig und rot vom Lebenssaft seines Vaters. Seine Mutter saß nur wenige Schritte entfernt auf dem Holzboden. Ihre Augen schienen die Größe von reifen Äpfeln erreicht zu haben, doch ihr Blick war starr und leer.
Im nächsten Moment brach die Haustür aus ihren Angeln. Hereingestürmt kamen drei Stadtwachen, gefolgt von Alberts Freund Fabian, die blanken Schwerter in den Händen.
„Er… er hat ihn einfach… einfach totgeschlagen“, stammelte Agathe.
Alberts und Fabians Blicke trafen sich. In den Augen seines Freundes las er eine wilde Mischung aus Abscheu und Verständnis. Noch ehe er etwas erwidern konnte, wurde Albert von vier kräftigen Armen emporgerissen und zur Tür geschliffen. Er wehrte sich nicht.
„Er hat ihn mit dem Hammer erschlagen!“, heulte Agathe kreischend auf.
Zeit für eine Antwort blieb Albert nicht mehr. – Und er hatte auch gar nicht die Kraft dafür.