Die Überfahrt
Unsere Geschichte beginnt vor knapp 6 Jahrzehnten, in der Nähe von Gotha, der Burg der Paladine, an einem warmen Sommertag.
Es ist ein kleiner Vorort mit einer Hand voll Bewohnern, von denen jeder alles über jeden weiß. Man hilft sich und man mag sich - zumindest die meiste Zeit. So geht es auch den Eltern unseres Protagonisten.
Harold, ein stämmiger, aber relativ kleiner Mann, kehrt von seiner Schicht nach Hause zurück. Eigentlich ist der Mann in der Miliz und zuständig für die Sicherheit im Ort, doch heute kommt er nicht von der Patrouille, sondern vom Viehhof. Sein Waffenrock ist voll Dreck und Schlamm, und auch sein Gesicht blieb nicht verschont, denn wie so oft blieb der Karren des alten Bauern stecken, und Harold sah es als seine Pflicht ihm zu helfen. Zuhause begrüßt ihn seine Frau Thea. Sie hält einen Säugling, ein paar Tage alt auf dem Arm und sieht Harold mahnend an. Dieser grinst verlegen und schnappt sich sogleich den Besen neben der Eingangstür ihrer kleinen Hütte, um den Dreck den er mit rein brachte, wieder raus zu fegen.
Er sieht zur Tür hinaus; sein Blick wandert in den fernen Wald und er scheint in Gedanken vertieft. Doch noch ehe Thea etwas sagen kann, dreht er sich lächelnd um und tut das eine, mit dem sie nicht gerechnet hat. Er entschuldigt sich. „Du hattest recht. Und bevor ich es mir anders überlege, stimme ich dir zu. Wir nennen den kleinen Wendel. Nach deinem Urgroßvater Wendel. Auf das er auch so erfolgreich wie er sein möge.“
Wendel lächelt durch die rostigen Gitterstäbe hindurch. Mit einer etwas erschöpften Stimme, äußert er: „Und bis heute glaube ich diese Geschichte nicht, wie sie mir meine Mutter doch einst vortrug. Nie in all den Jahren meines Lebens, habe ich meinen Vater auch nur einmal zugeben hören, er läge falsch. Und was den Erfolg angeht, nun...“
Er wird unterbrochen. Ein Rasseln ist zu vernehmen. Die Wache, mit einem Schlüsselbund am Gurt und einem alten Seesack in der linken Hand, kommt die hölzerne Schiffstreppe hinunter gestapft. Brummend öffnet sie die den Sack und sieht in die Zellen.„Euer Glückstag. Wir haben noch ein paar Brotreste für euch Abschaum.“
Er verteilt die Reste - es handelt sich um angenagtes und schon ziemlich hartes Brot - unter den Gefangenen. Dann sieht er zu Wendel. „Und du alter Sack, hältst endlich deine Fresse. Wir wollen da oben schlafen, nicht deine langweiligen Geschichten hören. Sonst schwimmst du nach Khorinis, ist das klar?!“
Wendel verstummt. Er nimmt das Brot entgegen und setzt sich in die Ecke seiner Zelle - freundlich lächelnd schweigend.
In einer Arena
Die Stimmung war an diesem Tag sehr gut und es lag ein Hauch Adrenalin in der Luft. Die Rekruten drängten sich um den Platz als gäbe es Freibier und leicht bekleidete Damen zu betrachten. Nur das Klirren von aneinander schlagendem Metall machte es für Aussenstehende recht früh eindeutig, um was für ein Ereignis es sich handeln musste. Auf einem kleinen Podest standen zwei Soldaten. Sie waren älter als der Rest der Truppe und auch bei weitem nicht so aufgebracht wie die jungen Soldaten um sie herum. Und dennoch waren sie sehr konzentriert beim Beobachten der Show.
In dem Ring um den sich alle drängten, fanden die Abschlusskämpfe statt. Die Einheit hatte es zur Tradition gemacht die Rekruten die ihre Ausbildung abgeschlossen hatten, und eine Zeit vor Ort gedient hatten, gegeneinander, aber auch gegen jeden Herausforderer der sich freiwillig stellte, antreten zu lassen.
Wendel war das egal. Er hätte darauf gerne verzichtet, war es doch auch er der an diesem Tag seinen letzten Tag vor Ort hatte. So aber stand er im Ring und hechelte wie ein gehetzter Orkhund der 2 Tage kein Wasser gesehen hatte. Wendel war mittlerweile ein junger Mann, und wollte nichts mehr, als seinem Vater die Ehre zu erweisen seinen Fußstapfen zu folgen. Es war klar dass er sich der Armee anschliessen wollte. Zwar war er nicht besonders mutig oder wild, jedoch hatte er das Herz am rechten Fleck und wusste, dass es seine Pflicht wäre, sein Land zu verteidigen. Nun... und vielleicht spielte der Fakt das Soldaten bei den Frauen gut ankamen, auch eine kleine Rolle.
Er jedenfalls hatte nicht damit gerechnet am heutigen Tag in einen so harten Kampf zu geraten. Dies war der zweite Kampf für ihn, den ersten hatte er knapp gewonnen, da sein Gegner aufgrund seiner schlechten Ausdauer aufgab. Doch dieser hier war anders. Er war ein Frischling, und keineswegs außer Atem. Zu Beginn war sich Wendel zwar sicher er wäre dem Burschen überlegen, da er ja schliesslich die Ausbildung abgeschlossen hatte und sein Gegner nicht, doch es kam eben anders.
Die ersten Hiebe prallten an der Klinge seines Gegners ab. Mit einer Leichtigkeit und einer hohen Präzision schien sich dieser nur so viel zu bewegen, wie er auch musste. Fast provokant und ihn verspottend wich er so den Angriffen Wendels aus. Keine Bewegung glich denen von Wendel, weder zu dessen Beitrittszeit in die Armee, ja nicht einmal jetzt. Schnell wurde Wendel klar dass er diesen jungen Rekruten unterschätzt hatte und sich nun bis auf die Knochen blamieren könnte. Nicht nur vor seinen Kameraden, sondern auch seinen Ausbildern. Beide schienen ihn mit durchdringendem Blick bestrafen zu wollen. Bestrafen für sein Unvermögen einen einfachen Rekruten zu besiegen. Und sie hatten Recht. Wie sollte Wendel je einen Dieb oder Verbrecher stellen, ja geschweige denn einem Ork entgegentreten, wenn er hier schon scheiterte. Einen Moment lang schien er gedanklich abzudriften und sich in den Tiefen der „Wenns und Abers“ zu verlieren ehe er sich wieder fangen konnte.
Er holte kraftvoll von oben aus und liess das Schwert auf seinen Gegner rasen, die Augen vor Anstrengung zusammen gekniffen.
Ein dumpfes Klirren. Die Klinge verfehlte ihr Ziel und landete im Dreck, und im Publikum war plötzlich Stille. Wendel öffnete langsam die Augen um festzustellen dass sein Gegner der grade noch ihn angrinsend vor ihm Stand, nicht mehr zu sehen war. Zu spät kam der Gedanke dass sein Gegner nunmehr hinter ihm zu suchen war. Grade als er diesen Gedanken fasste spürte er schon einen Schmerz im Rücken und kippte vorne über. Sein Gegner hatte ihn mit einem kräftigen Tritt auf den Boden geschickt und Wendel war noch nicht einmal klar wie er so schnell hinter ihn kam. Die Wut packte ihn als die Menge applaudierte und ein paar Pfiffe in die Arena drangen. Er griff sein Schwert und wollte sich grade mit voller Wucht herumdrehen, da spürte er das spitze Ende der Waffe seines Gegners an seinem Körper. Er hielt einen Augenblick inne ehe er seufzend sein Schwert zu Boden senkte. Für ihn war der Kampf vorbei, und er verlor. Gegen einen Rekruten. Seine Gedanken kreisten um sein Unvermögen zu verstehen. Zu verstehen was er falsch gemacht hatte, wo er scheiterte. Warum war dieser Rekrut so viel besser als er, und warum musste es ausgerechnet ihn treffen? Er hätte jeden herausfordern können, und doch forderte er ihn. Warum?
Und so wirkte er geistesabwesend als man ihm auf die Beine half und nach dem Verkünden des Ergebnisses beide aus der Arena brachte.
Die Kämpfe gingen weiter aber der junge Rekrut forderte an diesem Tag keinen weiteren Gegner heraus. Und Wendel?
Nun, eins wurde Wendel an jenem Tag klar. Er würde nicht zu denen gehören, die wohl in der Armee eine glorreiche Karriere machen würden.