Moin zusammen!
Ich habe die letzten Tage ein Experiment gewagt, bei dem ich mich in für mich neue Gefilde des Rollenspiels begeben habe. Mit dem Twink Isra habe ich ein ausführliches Charakterkonzept, das mehrere Seiten beinhaltet, bei der Spielleitung eingereicht und bewilligt bekommen. Mein Ziel war es, einen möglichst glaubhaften Menschen darzustellen, der von seinem Konzept her so auf dem Server noch nicht vorkam. Dabei ging es mir vor allem darum, das Geschlecht nicht als Charaktermerkmal zu behandeln, sondern völlig losgelöst vom Konzept zu halten, sodass eben dieses auch mit einem männlichen Charakter funktioniert hätte. Ich wollte schauen, ob sich allein durch das andere Geschlecht des Charakters andere Sicht- und Spielarten des Rollenspiels ergeben und mir in gewissem Maße auch selbst die Herausforderung stellen, ob ich denn in der Lage bin, diesen Charakter glaubhaft darzustellen.
Hier möchte ich nun meinen Erfahrungsbericht darlegen, der aufgrund von bestimmten Problematiken leider recht kurz ausfällt. Kurzum: In 80 % der Spielzeit mit dem Twink hatte ich das Gefühl, nicht meinen Charakter ausspielen zu können, sondern mich mit Sexismus, Belästigung und allgemein vulgärem Verhalten beschäftigen zu müssen. Ich hatte das Gefühl, dass mein Charakter trotz aller Bemühungen meinerseits nur auf das Geschlecht beschränkt wurde. In beinahe jedem Kontakt zu anderen Charakteren kam irgendwann das Thema auf, mit wem der Charakter Isra denn nun ins Bett hüpft, wem sie einen bläst oder dass sie ein hübsches Püppchen sei. Höhepunkt war der, dass ein Spieler mehrfach emotet hat, wie er dem Charakter Isra auf den Hintern schlägt und dabei schmierig grinst. Nach Rücksprache mit einem anderen Teammitglied habe ich ebenjenen Spieler dann darauf aufmerksam gemacht, dass ich so etwas nicht weiter ausspielen möchte, woraufhin immerhin das (kommentarlos) unterbunden wurde.
Ich muss gestehen, dass ich in diesen Situationen OOC ziemlich überfordert war, wie ich nun adäquat auf so ein RP eingehen soll. Um ehrlich zu sein, sind solche Themenkomplexe für mich seit jeher im RP tabu. Ich spiele nun seit mehr als 7 Jahren Pen-and-Paper als Spielleiter und Spieler, seit 2015 mit Unterbrechungen SKO und vor ein paar Tagen zum ersten Mal einen eigenen, weiblichen Charakter aus. So etwas ist mir da noch nicht untergekommen. Ich hatte mich durchaus darauf eingestellt, dass ein weiblicher Charakter aufgrund des Settings durchaus hier und da die Sexismus-Keule abbekommt, aber dass es dann so penetrant und RP-leitend ist, hätte ich nicht gedacht. Ich fand es erschreckend, welche starken Parallelen ich in den letzten Tagen doch zu Problemen wie Sexismus und sexueller Belästigung im echten Leben ziehen konnte.
Es wird nun sicherlich Leute geben, die sich darauf berufen, dass das ja a) alles nur RP sei und b) glaubhaft zum Setting gehöre. Hier möchte ich ganz klare Trennlinien ziehen. Wenn Dinge wie sexuelle Belästigung in anderen fiktiven Medien wie Film, Fernsehen oder Roman auftreten, dann werden diese dort immer in einen angemessenen Kontext gebettet. Indirekt oder direkt wird dem Konsumenten dabei klar gemacht, dass das, was da gerade passiert, moralisch völlig verwerflich ist. Es wird Mitgefühl mit dem Opfer und Abscheu gegenüber dem Täter aufgebaut - und es wird erst recht nicht glorifiziert. Dieser außenstehende Erzähler fehlt jedoch im Medium Rollenspiel. Dort gibt es nur die Charaktere, die miteinander interagieren. Es findet also keine Einbettung in einen angemessenen Kontext statt. Im Gegenteil: In der oben geschilderten Situation der sexuellen Belästigung war das Gefühl der Szene eher so, dass der Täter in seinem Verhalten bestätigt und erhoben wurde. Er war der Stärkere, der Gewinner und im Recht - zumindest, wenn man die Szene aus dem RP heraus liest. Das hat in meinen Augen nicht im Geringsten etwas mit dem Setting zu tun oder irgendeinen Platz in einem Spiel, das man zusammen spielt. Ich möchte zumindest nicht meine Freizeit damit verbringen, mir Reaktionen einer Frau überlegen und in den Chat tippen zu müssen, die gerade angegrabscht und gedemütigt wird oder sich gegen eine Schar von Männern behaupten muss, die in der Schussfrequenz eines MG3 vulgäre Bemerkungen machen.
Im Nachhinein habe ich mich dann mit ein paar Spielern dazu ausgetauscht, wobei einige meinen Standpunkt teilten, andere wiederum mit "Damit musst du halt leben, wenn du eine Frau ausspielst." kommentierten. Ich gehe auch davon aus, dass das hier im Forum der Fall sein wird. Dieser Satz erinnert mich erschreckend daran, was belästigte Frauen im echten Leben gesagt bekommen, wenn sie solche Themen ansprechen. Natürlich nicht immer und nicht in jeder Situation, aber ich habe solche Gespräche als Beobachter schon mehrmals miterlebt. Ich kenne auch persönlich Frauen, die Opfer von Vergewaltigung wurden, und habe miterlebt, was so etwas mit einem Menschen machen kann. Ich bin mitnichten ein White Knight, Social Justice Warrior oder Feminist. Ich gehöre zu keinem Movement, ich gendere nicht und ich finde es in Ordnung, dass in der deutschen Nationalhymne vom "Vaterland" und nicht vom "Heimatland" gesungen wird. Die Erkenntnisse, die ich für mich aus den paar Tagen, in denen ich einen weiblichen Charakter hier auf SKO ausgespielt habe, mitnehme und die Parallelen, die ich daraus zum echten Leben ziehen kann. drehen mir ziemlich den Magen um.
Ich bin ein Kerl und habe das große Glück, nicht im Alltag mit so etwas konfrontiert zu sein. Ich kann einfach den Rechner ausschalten und den Twink eben nicht mehr ausspielen. Vielleicht bin ich dadurch auch einfach nicht so "abgehärtet", weil ich so etwas einfach nicht gewohnt bin. Wenn ich mir aber vorstelle, dass hier eine weibliche Spielerin auf den Server kommt, die im Alltag sich schon mit so etwas herumschlagen muss, auch noch hier die volle Breitseite mit ihrem Charakter abbekommt, dann stellen sich mir die Nackenhaare auf. Vor allem dann, wenn man völlig neu im Medium ist. Etwa 97% der Frauen in Deutschland erfahren in ihrem Leben sexuelle Belästigung.
Es gibt viele Dinge, die ins Setting passen würden, und in der Vergangenheit ist mir da auch ein schwerwiegender Fehler beim Ausspielen meines Charakters unterlaufen, für den ich mich an dieser Stelle noch einmal entschuldigen möchte. Das kann man in alle Richtungen weiterspinnen, doch Fakt ist, dass der oben beschriebene Kontext, der in anderen Medien gegeben ist, hier nicht stattfindet. Ich könnte mit meinem Charakter Strindberg unsägliche Foltereien an anderen Spielercharakteren betreiben und wäre trotzdem der "Gewinner", der keine Konsequenzen fürchten muss. Es würde ins Setting passen und wäre definitiv dem Charakter entsprechend "authentisch". Dass so etwas laut Serverregeln verboten ist, hat seinen guten Grund.
Den Charakter Isra werde ich zumindest nicht mehr ausspielen - im RP gibt es Hinweise auf den Verbleib zu finden. Statt einen eigenen Charakter mit Hintergrund, Persönlichkeit und Tiefe ausspielen zu können, war ich die meiste Zeit über damit beschäftigt, auf sehr abstoßende Reaktionen zum Geschlecht meines Charakters einzugehen. Beleidigungen und harte Sprache gehören im Gothic-Setting dazu, aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass in dem Spiel, das wir alle schätzen und lieben, am laufenden Band Witze über Blowjobs abgefeiert wurden.
Abschließend möchte ich nur sagen, dass die Einschätzung meiner Erlebnisse feststeht. Man kann mich als Weichei, als White Knight oder sonst etwas bezeichnen. Man kann solche Themen herunterspielen und behaupten, dass der Kerl sich doch nicht so aufspielen soll. Ich sehe aber gerade darin Teil des Problems. Ich hoffe zumindest, dass ich den einen oder anderen Leser zum Nachdenken anregen konnte. Ich möchte hier zumindest keinen Frauen-Charakter mehr ausspielen.
Danke an alle, die bis hier gelesen haben. Es tut mir Leid, dass der Inhalt so politisch geworden ist, aber ich sehe mich in der Pflicht, so etwas hier anzusprechen, bevor es totgeschwiegen wird.
Gruß, Strindberg